Theater:Schwerelos wie im Märchen

Theater: Bei den Proben in einer Stunt-Halle sah die Wiener Tänzerin Florentina Holzinger ein Motorrad - und wollte sofort auch eines.

Bei den Proben in einer Stunt-Halle sah die Wiener Tänzerin Florentina Holzinger ein Motorrad - und wollte sofort auch eines.

(Foto: Eva Würdinger)

Die Wienerin Florentina Holzinger, seit einigen Jahren eine der aufregendsten Performerinnen, kommt mit ihrem neuen Stück "Tanz" an die Münchner Kammerspiele

Von Egbert Tholl

Eine Bühnenkünstlerin, die eines ihrer Programme "Kein Applaus für Scheiße" nennt, kann nur eines sein: großartig. Vor vier Jahren war Florentina Holzinger damit zu Gast an den Münchner Kammerspielen, damals arbeitete sie noch mit ihrem Bühnenpartner Vincent Riebeek zusammen - die beiden hatten die Produktion damals noch an der Amsterdamer School for New Dance Development entwickelt. Der Abend war, wenn auch auf durchaus bizarre Weise, ein Hohelied der Liebe. Viel krasser, verstörender, böser und gleichfalls irrsinnig klug hatten sich Holzinger und Riebeek zwei Jahre zuvor das erste Mal in München präsentiert. Beim "Spielart"-Festival zeigten sie "Wellness", eine brillante Abrechnung mit jeder Art von Schönheitswahn. Nun kommt Holzinger, ohne Riebeek, zurück an die Kammerspiele. Mit "Tanz", einer Produktion, die vor zwei Wochen im Tanzquartier Wien Premiere hatte - zu sehen am 19. und 20. Oktober in der Kammer 2.

Holzinger ist Wienerin, und die Aufführungen in Wien waren derartig ausgebucht, dass selbst namhafte Personen aus der Tanz- und Performance-Szene keine Karte mehr bekamen. "Tanz" ist im Untertitel eine "sylphidische Träumerei in Stunts" und beschließt eine Trilogie, von der bereits "Apollon" an den Kammerspielen zu sehen war, was eine Ansammlung unfassbarer Zirkuskunsttücke war, mit welchen Holzinger und ihre dafür zusammengestellte Performerinnen-Truppe Balanchines Ballett "Apollon musagète" zitierten, ironisierten, weiterdachten.

Einige der bei "Apollon" Beteiligten sind auch bei "Tanz" wieder mit dabei - bei einem Gespräch nach einer der Wiener Vorstellungen mit der Journalistin Karin Cerny erzählte Holzinger, sie habe die Mitwirkenden ausgewählt wie ein Expertenteam, 70 Prozent davon kämen eh aus ihrem Freundeskreis und keine habe gezuckt auf die erste Frage beim Casting. Die lautete, ob Nacktsein auf der Bühne ein Problem darstelle.

"Tanz" ist Tanz, klassischer Tanz, ist Stunt, ist Körpertheater, das beim Zuschauen schmerzt und ist auch "sehr mädchenhaft". Das sagt Holzinger, und sie bestätigt damit einen Eindruck, den man in den zwei Stunden vor ihrem öffentlichen Reden durchaus so gewinnen konnte. Der Untertitel bezieht sich auf das Ballett "La Sylphide" von 1832 (Musik: Jean-Madeleine Schneitzhoeffer, Choreografie: Filippo Taglioni), worin Luftgeister herumschweben. Und ums Schweben geht es hier, ums Fliegen, um die Schwerelosigkeit, die das romantische Ballett herbeiillusionieren wollte. In "Tanz" kann das allerdings dazu führen, dass eine der Mitwirkenden schon mal in einem waghalsigen Stunt gegen die Wand knallt.

Doch erst beginnt es brav an der Stange. Holzinger wird da selbst zu einer der Elevinnen, die sich von Beatrice Cordua anleiten lassen in der Überwindung der Schwerkraft. Cordua tanzte 1972 nackt John Neumeiers "Sacre"-Bearbeitung. Mehr hat sie jetzt auch nicht an, außer ihrer grandiosen Würde. Für Holzinger ist sie der Star des Abends, was man bei ihrer Beharrlichkeit im Unterrichten, bei ihrer Freude an den sie umgebenden, bald nackten Leibern, bei ihrem Leuchten, Strahlen und Wissen auch sofort unterschreibt.

Der Körper ist für Holzinger das letztgültige Ausdrucksmittel, deshalb ist er nackt, auch weil Kleidung eh nur stört und sie selbst ein ganz großes Faible für Trash, niedere Instinkte und dementsprechende Unterhaltung hat. Man sieht sie förmlich grinsend darauf warten, dass Theater, an denen sie gastiert, mit der Altersfreigabe für ihre Shows hadern. Ja eben, Show! Eine Show mit Kunstblut und dennoch ist alles echt, der gepfählte Wolf und die Haken im Leib, an denen sich eine der Tänzerinnen hochziehen lässt. Holzinger benutzt dafür ihre Haare. Fliegen ist ein mühevoller Vorgang. Auch im Märchen, das hier auch eine Rolle spielt, denn schließlich rekurriert "Tanz" ja auf das romantische Ballett, und da ist sehr viel nun mal märchenhaft. Oder mädchenhaft?

Sie wolle, sagt Florentina Holzinger, niemanden belehren, sie liebe die Ambivalenz und habe selbst viele Meinungen zu den Dingen, die sich gegenseitig wiedersprechen könnten. Man kann "Tanz" sehen wie vielleicht ihre Eltern, die den Abend schon krass fanden, man kann ihn auch sehen wie etwas sehr Lustiges, intellektuell völlig Überlegenes. Und irgendwo auch als etwas Privates. "Es ist schon klar, dass ich Ballerina werden wollte." Als Kind ging sie dann an Fasching als Hexe. Doch "2019 bin ich schließlich doch Ballerina geworden". Hat sich gerächt. "Wenn du als Sechsjährige hörst, dass du das mit dem Ballett nie erreichen wirst, ist das echt arschig."

Ballett ist Disziplin, Widerstandstraining, Härte. "Man muss nicht nur Sachen machen, die angenehm sind. Disziplin kann etwas Geiles sein. Wenn am Morgen der Wecker klingelt, hasst du es. Aber anders würde man versandeln." Holzingers Körper ist ein durchtrainiertes Präzisionswerkzeug. Aber halt nicht der einer Ballerina. Wurscht. Aber wichtig ist ihr, dass sie Tänzerin und nicht Performerin ist. "Das klingt für mich immer so, als würde ich mir in einer White Box den Arm aufschlitzen." Na gut, sie macht andere Sachen. Zum Beispiel, sich mit der Geschichte des Balletts beschäftigen. Dann erzählt sie vom Foyer de la Danse und dem Brauch, dass im vorvergangenen Jahrhundert die Herren den Damen beim Aufwärmen zuschauten. Und dafür bezahlten. Auch eine Form der Tanzförderung. Und was wäre das heutige Pendant dazu? "In die Zukunft des Tanzens zu investieren heißt, einen Baum pflanzen."

Tanz, Sa. und So., 19. und 20. Oktober, 20.30 und 20 Uhr, Kammerspiele, Kammer2

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