Theater:Schlaflos in München

Wie Shabbyshabby Apartments derzeit verschiedene Gruppen der Stadtgesellschaft zusammenbringen

Von Evelyn Vogel

Nein, die Frage ist nicht: Wohnst du noch oder lebst du schon? Auch nicht: Lebst du noch, obwohl du da gewohnt hast? Denn die meisten Nutzer der Shabbyshabby Apartments haben positive Erfahrungen gemacht. Dass der Selbstversuch leider weniger gut endet, hat mit einem sehr empfindlichen Näschen und einer vermutlich unter der Sonneneinstrahlung vermehrten Ausdünstung des Baumaterials zu tun. Denn alles in allem ist das ". . . doesn't really Matress"-Objekt am Hans-Mielich-Platz nicht nur schön anzusehen, sondern auch bequem ausgestattet. Also: Schwamm drüber, genauer - Matratze drauf. Denn damit ist das Hüttchen in Erinnerung an das "Bed-In" von Yoko Ono und John Lennon überzogen.

Die Kinder haben es deshalb auch vom ersten Tag an erobert, turnen bis zum Abend darauf herum, rutschen die Matratze herunter und drücken sich hinein, sobald jemand die Tür aufsperrt. Auch die Erwachsenen staunen über das Ding und wollen wissen, worum es geht. Denn da München Stadtviertel für Stadtviertel von der Gentrifizierung überrollt wird, stellt sich für die hiesige Stadtbevölkerung permanent die Frage: Wo wohnst du und wie wohnst du und kannst du dir diese Wohnung eigentlich noch leisten? So dient die Shabbyshabby-Aktion des neuen Kammerspiel-Intendanten, Matthias Lilienthal, durchaus als Anstoß zum Nachdenken über Urbanität im Allgemeinen und die Wohnraumsituation im Besonderen.

Wie ist das eigentlich, im öffentlichen Raum zu nächtigen? Wie, wenn das eigenen Stadtviertel, das man so gut kennt, plötzlich nicht aus dem geschützten Raum der eigenen Wohnung heraus wahrgenommen wird, sondern nur getrennt von ein paar Folienwänden und einer kleinen Holztür? Die kleinsten Laute wirken da plötzlich wie eine große Geräuschkulisse, vertrautes Leben auf der Straße mutet mit einem Mal bedrohlich an. Doch der Lärm von der nahen Bahnlinie raubt einem nicht den Schlaf. Die alkoholisierten Partygänger bleiben friedlich. Die Obdachlosen aus dem nahe gelegenen Heim halten Abstand.

Plötzlich denkt man aber noch über etwas ganz anderes nach. Über Menschen, die einem völlig fremd sind. Menschen, die einen beschützen. Seit neuestem die ganze Nacht über, weil eines der Apartments nach zwei Tagen abgebrannt ist. Denn bevor man in seine "Matress" kriecht, hält man einen Plausch mit dem Wachposten. Eine junge Frau, weniger als halb so alt wie man selbst. Man hört Geschichten von Menschen, die sich nicht beklagen, dass sie eine 23-Stunden-Schicht fahren, weil sie froh sind, dass sie einen Job haben. Die erzählen, dass der Vater, der beim gleichen Wachdienst arbeitet, sie hergefahren, mit Pizza und Kaffee versorgt hat, der sich Sorgen macht um die Tochter, die noch wenig Erfahrung hat und nun alleine auf Posten bleiben muss. Am liebsten würde man sie einladen, das Matratzenlager zu teilen. Man kann ja aufeinander aufpassen. Aber das geht natürlich nicht. Sie hat ihre Auflagen: Draußen bleiben, wach bleiben, das Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Diese und andere Gespräche - mit Anwohnern, Passanten und vorherigen Apartment-Bewohnern - sind es, die bleiben werden. Wie anders erlebt man doch diesen Stadtraum, den man so gut zu kennen glaubte. Allein für diese Erkenntnis hat es sich gelohnt, sich im Shabbyshabby Apartment die Nacht um die Ohren geschlagen zu haben - schlaflos in München.

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