Theater:Schaulaufen der Erben

Die unvorstellbaren Folgen einer eingebildeten Revolution: Giulia Goldammer

© Jean-Marc Turmes (honorarfrei bei Namensnennung)

Giulia Goldammer im Flamingo, hier kurz einmal friedlich, sonst eher mit toller Verve das Recht auf die eigene Unzufriedenheit verteidigend.

(Foto: Jean-Marc Turmes)

Dimitrij Schaads munteres Psychogramm im Akademietheater

Von Egbert Tholl

Eigentlich ist Thekla Hartmanns Figur fein raus. Eigentlich müsste sie sich die Diskussionen der anderen jungen Leute hier gar nicht antun. Denn sie scheint auf das Erbe, um das es hier geht, gar nicht angewiesen. Sie hat schon ihr eigenes Geld verdient. Mit ihren Füßen, die offenbar von solchem Liebreiz sind, dass sie damit auf speziellen Fetisch-Pornoseiten groß rauskam. Was dann auch dazu führte, dass es bei den Füßen allein nicht blieb und sie Geld verdiente mit geregeltem Sex der härteren Art. Ob das mit den Füßen nachvollziehbar ist, weiß man nicht, denn Thekla Hartmann trägt Stiefel und ist auch sonst eher punkig drauf.

Vor einem Jahr erarbeitete Dimitrij Schaad die Hälfte eines Doppelabends - die andere Hälfte inszenierte Shenja Lacher -, mit dem sich die Schauspielstudenten der Bayerischen Theaterakademie August Everding kurz vor Ende ihrer Ausbildung dem Publikum präsentierten. Damals ging es um den Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum in München, über die "Konsistenz von Wirklichkeit" und einen wunderlichen Hund, gespielt von der fabelhaften Marina Blanke, der den Rahmen schuf für die Szenen, in denen sich die Stundenten austoben konnten.

Nun sorgt Schaad allein für die Abschlussarbeit der Schauspielstudierenden. Wieder zusammen mit seinem Bruder Alex als Co-Regisseur und Co-Autor und vor allem mit den Studenten selbst als Mitautoren. Der Abend im Akademietheater trägt den knackigen Titel "Die unvorstellbaren Folgen einer eingebildeten Revolution" und handelt genau davon. Also von einer Revolution, die es nicht gibt, die aber eine ganze Fülle von Folgen hervorruft.

Der Beginn ist noch sehr kreatürlich. Als Affen mit leuchtend roten Augen kommen die Schauspieler auf die Bühne, machen ein paar grunzende und eben affige Geräusche - der Mensch ist ein Viech, auch wenn er sich meist bemüht, es nicht zu sein. Die Bühne ist auch voller Viecher, voller lustiger Gummitiere, mit denen man schwimmen gehen kann, Schwan, Pferd, Hummer, Wal. Dann ziehen sich die zehn jungen Leute artig an und entwerfen erst einmal eine ziemlich konkrete Situation: Die zahlreichen Kinder eines sterbenden und zu Lebzeiten offenbar höchst unangenehmen Patriarchen diskutieren unter Teilnahme der jeweiligen Partner und der aktuellen Freundin des bald Dahingeschiedenen über das mögliche Erbe und was damit Sinnvolles zu tun sei. Da kann auch schon mal die eine Schwester den Bruder davon überzeugen, doch auf seinen Anteil zu verzichten, weil sie nämlich wirklich Großes im Sinn habe, eine Art Begegnungsstätte, Kunst, Widerstand, Veränderung. Überhaupt sind die vier Schwestern die Unternehmungslustigen hier, auch wenn sich zwei von ihnen vor allem darüber streiten, dass die eine erfolgreiche Schauspielerin und die andere eine viel zu scheue, vermeintliche Schauspielerin geworden ist, was konkret nichts mit dem Erbe, aber mit dem weiterführenden Aspekt des Abends zu tun hat: den Fragen nach einem Lebensentwurf, einer Zukunft. Glaubt man den "unvorstellbaren Folgen", so fällt einer ganzen Generation junger Menschen nicht viel mehr ein, als aufs Erbe zu warten. Blöd nur, dass dieses sehr ungerecht verteilt ist. Die Jungs haben es leichter mit der Aporie bezüglich der eigenen Lebensgestaltung: Sie ergehen sich in Pornofantasien.

Dimitrij Schaad und die zehn Studierenden schaffen ein sehr munteres, idiosynkratisches und hinreichend durchgeknalltes Psychogramm einer Generation, das nur einen Nachteil hat: Es endet nach einer Stunde. Das ist das Zeitlimit fürs anstehende Schauspielschultreffen und sein Befolgen führt dazu, dass man gerne einiges noch viel genauer gehört hätte. Stoff wäre reichlich vorhanden, Können auch. Schaad präsentiert den Jahrgang liebevoll homogen, jeder kriegt seinen großen Moment, und doch sind sie natürlich nicht alle gleich, was den Besuch für jeden künftigen Arbeitgeber lohnt (bis Ende Januar und dann wieder im Juni).

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