Ruhrfestspiele:Emissionsarmer Workshop

Konferenz der Abwesenden
(von Rimini Protokoll)

Ökologisch einwandfrei - "Konferenz der Abwesenden" von der Künstlergruppe Rimini Protokoll bei den Ruhrfestspielen.

(Foto: Sebastian Hoppe)

Nicht ganz da: Bei "Konferenz der Abwesenden" der Performancegruppe Rimini Protokoll muss das Publikum in Marl selbst auf die Bühne.

Von Alexander Menden

Nachdem der kurze Schlussapplaus verklungen ist, den das Publikum im Theater Marl sich selbst gespendet hat, ist eine kleine Recherche vonnöten. Bei einer Umfrage unter Zuschauern, die unvorbereitet den Abend mitgestaltet haben, versichern alle ziemlich glaubhaft, sie hätten nicht gewusst, dass sie hier heute auf der Bühne stehen würden. Umso erstaunlicher, wie reibungslos dieses keineswegs risikofreie Mitmachkonzept der sogenannten "Konferenz der Abwesenden" auf performativer Ebene aufgeht: Zwei Stunden lang haben Freiwillige aus dem - coronabedingt spärlich besetzten - Zuschauerraum Beiträge von Menschen, die selbst nicht anwesend sein können oder wollen, vorgelesen oder über Kopfhörer souffliert nachgesprochen.

Das Do-it-yourself-Theater ist immer noch besser als die flachen Zoom-Gesichter, an die man sich gewöhnen musste

Von der Performancegruppe Rimini Protokoll erdacht, wurde die "Konferenz der Abwesenden" soeben am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt und dann gleich von den Ruhrfestspielen Recklinghausen übernommen. Man könnte auch sagen, dass die Uraufführung an jedem Abend neu stattfindet. Denn die Inszenierung besteht nur aus einer Bühnenbildvorgabe - Sitzgruppe, Zimmerpflanzen, Rednerpult, eine Projektionsfläche - und Texten. Den Rest erledigen jeweils die Zuschauer. Eine Stimme aus dem Off rekrutiert in gesampelten Versatzstücken freiwillige "Vertreter" aus dem Publikum, die, mit einem Kopfmikrofon verkabelt, für die Abwesenden Konferenzteilnehmer sprechen.

Dieser Do-it-yourself-Ansatz ist nach der langen Durststrecke ohne Präsenzaufführungen eher unbefriedigend - wie viel besser ist es denn, eine leere Bühne als Zuschauer selbst bespielen zu müssen, als sich irgendetwas in einem Stream anzusehen? Man kann sich zumindest damit trösten, dass echte Menschen, die stellvertretend handeln, immer noch besser sind als die flachen Zoom-Gesichter, an die man sich seit März 2020 gewöhnen musste - und Schauspieler sind ja auch sonst irgendwie Stellvertreter. Zudem sind Abwesenheit, Leerstellen und Lücken inhaltlich das verbindende Element aller neun Beiträge an diesem Abend.

Die Partizipationsbereitschaft des Publikums ist großartig - aber am Ende bleibt dennoch der Eindruck eines Workshops

Die Grundidee, dass man, statt Energie zu verbrauchen und Hotelzimmer zu belegen, einfach jemand anderen für sich sprechen lässt, ist klimafreundlich : "Sie sparen 1500 Kilogramm CO₂, indem Sie diesen Beitrag vorlesen." Sie ist mithin ebenso einleuchtend (man könnte auch sagen: ostentativ) moralisch relevant wie die Einlassungen einer ostafrikanischen Geflüchteten auf einer griechischen Insel oder das Schicksal eines angeblichen somalischen Spitzels, der für den italienischen Geheimdienst gearbeitet hat. Dass das nicht übermäßig moralinsauer wirkt, verdankt sich vor allem der ruhigen Präsentation der Amateurdarsteller. Alles wird letztlich erzählt, nicht ausagiert.

Überhaupt ist das Bemerkenswerteste an der "Konferenz der Abwesenden" die darstellerische Abgeklärtheit, die Trittsicherheit, mit der die Menschen (meist gesetzteren Alters), welche hier im Rampenlicht stehen, ihre kurzfristig übernommenen Rollen spielen. Nur die erste vermeintliche Freiwillige macht stark den Eindruck, als spiele da ein Profi zum Einstieg in das Konzept Theater. Darüber hinaus spricht es Bände, was die Partizipationsbereitschaft des Marler Publikums angeht, dass es zum Beispiel ohne zu zögern aufsteht, 15 Sekunden tanzt und dann einfriert, um nachzuvollziehen, wie sich das Locked-in-Syndrom anfühlt. Ein Physikprofessor, der nach einem Schlaganfall in den Neunzigerjahren an diesem Syndrom leidet und sich nur per Augenblinzeln verständlich machen kann, lässt seine Gedanken zu Schwarzen Löchern vortragen. Die Kölner Astrophysikerin Suzanna Randall bereitet sich darauf vor, bei einem Aufenthalt in der Internationalen Raumstation herauszufinden, wie sich die Abwesenheit von Schwerkraft auf den weiblichen Körper auswirkt - bisher wurde das ja mehrheitlich an Männern getestet. Der mittlerweile 95-jährige, als "Hitlerjunge Salomon" berühmt gewordene Sally Perel erzählt davon, wie er als Jugendlicher vorgab, "Volksdeutscher" zu sein, um der Erschießung durch die Wehrmacht zu entgehen. Gerade neben diesen Erinnerungen eines Holocaustüberlebenden steht dann sehr erratisch, dass zum Schluss der amerikanische Aktivist Les Knight, Gründer des "Voluntary Human Extinction Movement", noch dafür werben darf, dass die Menschheit sich zum Wohle des Planeten selbst abschaffen sollte.

Letztlich überwindet das alles nie die Anmutung eines auf die Bühne gehievten Dossiers oder eines Workshops, der vor allem vom guten Willen und vom Enthusiasmus seiner zahlenden Teilnehmer lebt: Zu wenig durchdacht, um eine Analyse verschiedener Manifestationen von Abwesenheit zu sein, und dramatisch zu wenig durchgearbeitet, um wirklich als Theater durchzugehen.

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