Süddeutsche Zeitung

Theater:Rettendes Requiem

Von Peter Laudenbach

Wenn Politiker über die Förderung des nahenden Jubiläums einer einst irritierend modernen Kunst-Theorie-Architektur-Schule debattieren, kann es manchmal sehr heiter werden. Die historische Avantgarde wird bei dieser Gelegenheit als "unser erfolgreichster kultureller Exportartikel" eingemeindet und abgehakt. Schorsch Kamerun setzt Auszüge der Bundestagsdebatte zur staatlichen Würdigung des Bauhaus-Jubiläums an das Ende seines "rettenden Requiems" an der Berliner Volksbühne - irgendwer muss die Bauhäusler ja vor solchen Lobrednern schützen. Die begehbare Konzert-Installation bespielt das ganze Theater, Kamerun setzt den offiziösen Festivitäten zum 100. Bauhaus-Geburtstag einen lässigen, klugen und gute Laune machenden Kontrapunkt entgegen. Statt sich an hinlänglich debattierten Fragwürdigkeiten von Gropius & Co. abzuarbeiten, interessiert sich Kamerun, Sänger und Texter der experimentellen Musikformation Die Goldenen Zitronen, für die unvermeidliche ResteVerwertungs-Musealisierung einer einst radikalen Bewegung: "Verehrter Jubilar, ausgegrabener Star, um den sich alle kümmern, beim Schlummern in wertigen Trümmern." Zur Melancholie und Raffinesse des Collagenkünstlers Kamerun gehört, wie ein Blasensemble die angeschrägten Hollywood-Elegien von Bert Brecht und Kurt Eisler, ein kleiner Gruß an die emigrierten Bauhäusler, mit Gustav Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" verschmilzt. Als wäre das Bauhaus ein Abgesandter aus der Unterwelt, wird Henry Purcells Dido-Todesabschiedsgruß "Remember me" gesungen, wir sind schließlich bei einem Requiem und einer Beerdigung. Allerdings bei einer heiteren, auf der die Schauspielerin Anne Tismer aus der Zukunft des Jahres 2025 kommt und Zahlen, Farben, Schokoladenkuchen, Flamingos und Elefanten tanzt. Das supercharmante P14- Jugendtheater veranstaltet aberwitzige Prozessionen und tritt als Schere, Feile oder Marsmenschen auf - wahrscheinlich eine Wiedergeburt des triadischen Balletts aus dem Geist des Pop. Und ganz nebenbei ist Kameruns Revue nicht nur eine Liebeserklärung an die Radikalen des Bauhauses, sondern auch ein hinreißender Schlussakkord der Spielzeit an der wieder lebendigen Volksbühne - noch so eine gut 100-jährige Radikale der Never- Ending-Moderne.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2019
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