Süddeutsche Zeitung

Theater:Pro und Contra Erdoğan

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Nuran David Calis hat mit Deutschtürken in Köln das Stück "Istanbul" entwickelt. Ein Abend des Zu- und Weghörens - genau das ist seine Qualität.

Von Cornelia Fiedler

"Wenn die türkische Armee eines kann, dann putschen." In der Irritation über den verdächtig schwachen Putschversuch vom Sommer 2016 sind sich alle einig. Das kommt selten vor in "Istanbul", der konfliktgeladenen Stückentwicklung von Nuran David Calis am Schauspiel Köln. Der renommierte Regisseur und Autor lädt in Zeiten des beängstigenden Systemwechsels in der Türkei zur Bestandsaufnahme aus Sicht der deutsch-türkischen Community. Das Team aus Schauspielerinnen und Anwohnern der nahe gelegenen Keupstraße ist gespalten: in Fans und scharfe Kritiker des türkischen Präsidenten Erdoğan.

Es ist ein Abend der Argumente, der langen Monologe und des offensiven Weghörens. Ein Abend, der quälend auf der Stelle tritt - und gerade darin paradoxerweise seine Qualität offenbart: Hier werden Differenzen ausgehalten statt aufeinander loszugehen, was ja deutlich medienwirksamer wäre.

Zwischen den Menschen auf der Bühne gibt es tiefe Gräben, aber sie bleiben im Dialog

Ursprünglich wollte Calis als Abschluss seiner Trilogie, nach "Die Lücke" und "Glaubenskämpfer", diesmal Istanbul thematisieren, als Sehnsuchtsort türkischstämmiger Deutscher und als Symbol der Möglichkeit einer freien und offenen Türkei. Dann aber kam der Juli 2016 und damit ein neues Thema: "der Putsch, der verhindert wurde, aber dennoch eine Junta an die Macht gebracht hat", wie es der Kölner Schriftsteller Doğan Akhanlı formuliert. Er ist der entschiedenste Kritiker Erdoğans im "Depot 2" des Kölner Schauspiels, wo weiße Fahrspuren und Pfeile auf dem Boden zwei unvereinbare Richtungen signalisieren. Akhanlı wurde nach dem Militärputsch von 1980 in der Türkei gefoltert, 2010 war er ein zweites Mal inhaftiert. Seinen Bericht über die Qualen und Demütigungen trägt der Schauspieler Seán McDonagh vor. Er sitzt versteckt auf einer Pritsche, sein bloßer Rücken ist nur im Livevideo zu sehen. Akhanlı tritt hinzu und blickt in die Kamera, ruhig, fragend.

Dass auch heute in türkischen Gefängnissen gefoltert wird, belegen Passagen des aktuellen Berichts von Amnesty International. Doch Ismet Büyük schüttelt dazu den Kopf, die Fakten perlen an einer Schutzschicht aus Patriotismus ab. "Ich habe mit Ja gestimmt", beim Referendum, sagt später Ayfer Sentürk Demir mit leiser Stimme. Alle blicken sie an, keiner rastet aus. Nur aus Ines Marie Westernströer bricht einmal ein langer zorniger Wie-könnt-ihr-nur-Monolog heraus. Zugleich weiß sie, dass sie als "die Scheißdeutsche, die euch anklagt" wenig ausrichten wird. Warum, das versuchen Seán McDonnagh und Kutlu Yurtseven, der Sänger der Rapgruppe Microphone Mafia, zu klären. Sie sprechen beherrscht, doch auch sie sind es müde, Entgegenkommen zu signalisieren. In Deutschland werde jedem, der anders aussieht, täglich die eigene Fremdheit vor Augen geführt - da macht Erdoğan schlicht das einfachere Identifikationsangebot. Zudem ist die Demokratie-Rhetorik der Europäer unglaubwürdig, schließlich brauchen diese die Türkei, um Geflüchtete abzuhalten. Am Ende bleiben tiefe Gräben - und als Hoffnungsschimmer nur, dass diese sechs sturen Menschen den Dialog nicht aufgeben.

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Quelle:
SZ vom 30.05.2017
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