Theater:Patient auf Drehbühne

Unterwerfung

Steven Scharf spielt den eingebildeten Kranken am Rande des Nervenzusammenbruchs, hier mit Lorna Ishema als Betreuerin.

(Foto: Arno Declair)

Stephan Kimmig verlegt Houellebecqs "Unterwerfung" am Deutschen Theater in Berlin bedeutungskränkelnd in ein Siechenhaus.

Von Mounia Meiborg

Was dem Patienten fehlt, ist schwer zu sagen. Aber er ist offensichtlich schwer krank. Zu Beginn redet er über Sinnlosigkeit und Selbsthass, Überdruss und Leere. Er zitiert Texte seines Idols Joris-Karl Huysmans. Und endet beim eigenen Weltschmerz, auf den Knien im Delirium. Bei Michel Houellebecq ist der Literaturwissenschaftler François ein weinerlicher Hypochonder. Hier ist er ein Fall für die Klinik.

"Unterwerfung", Houellebecqs Roman über eine muslimische Machtübernahme in Frankreich im Jahr 2022, ist in Deutschland - anders als in Frankreich - zum beliebten Theaterstoff geworden. Bei der Uraufführung am Hamburger Schauspielhaus machte Karin Beier daraus ein furioses Schauspielsolo für Edgar Selge. Am Dresdener Staatsschauspiel wurde der Roman von Malte C. Lachmann solide nacherzählt. Stephan Kimmig geht nun am Deutschen Theater in Berlin einen anderen Weg. Er löst den Text von den im Roman beschriebenen Szenen - und konstruiert mit der Krankenhausszenerie eine neue, symbolträchtige Rahmenhandlung.

Natürlich ist es auch in der Romanvorlage nicht allzu gut um den Literaturprofessor François bestellt. Seine Beschäftigung mit dem L'art pour l'art-Romancier Joris-Karl Huysmans, lange Zeit sein einziger Lebensinhalt, erscheint ihm nun jedoch zunehmend sinnlos. Die Politik ekelt ihn an. Und der Sex mit Prostituierten war auch schon mal besser.

Irgendwann legt sich dann auch noch der Chefarzt zum Professor ins Hospitalbett

Bei Steven Scharf jedoch bewegt sich François am Rande des Nervenzusammenbruchs. Er lässt die Hose runter und robbt auf Katzenpfoten über die Bühne. Er tanzt zu imaginärer Musik. Irgendwann legt sich der Chefarzt zu ihm ins Krankenbett - und er entpuppt sich als neuer muslimischer Präsident.

Auf der Bühne steht ein Krankenbett. Die Machtübernahme einer islamischen Partei erscheint hier als Fiebertraum eines psychisch beschädigten Mannes. Was Halluzination, was Wirklichkeit ist, bleibt offen. Das ist eigentlich eine interessante Lesart. Schließlich entstammen so manche Ängste vor einer Islamisierung des Abendlandes ähnlichen Phantasmagorien. Aber diese Deutung hält einen Sicherheitsabstand zum Stoff. Und der wird umso größer, weil die Schauspieler nicht recht zum Spielen kommen.

Die Handlung wird in der Fassung von David Heiligers und Stephan Kimmig nicht chronologisch erzählt. Stattdessen werden Themenblöcke abgearbeitet: Politik. Erotik. Transzendenz. Die Ironie des Romas ist verschwunden. Gedichte von Houellebecq und Handke werden zitiert; der Tonfall ist getragen bis schwülstig.

Die fünf Darsteller übernehmen - bis auf Steven Scharf in der Hauptrolle - mehrere Rollen. Lorna Ishema, die sämtliche Frauenrollen spielt, hat es naturgemäß nicht leicht. Schließlich werden bei Houellebecq eher Fellatio-Künste und Hintern-Formen beschrieben als Charakterzüge. Marcel Kohler hat einen hübschen Auftritt als Physiotherapeut, der François auf einem Hüpfball vorturnt. Camill Jammal spielt den Präsidenten Mohammed Ben Abbes als smarten Typen, der mit einer vertrauenerweckenden Stimme alle einschläfert. Und Wolfgang Pregler zelebriert als neuer Universitätspräsident in Seidenmantel und Pantoffeln das Klischee des muslimischen Paschas - der allerdings, bevor er konvertierte, ein Rechtsextremer war.

Der Islam formt sich zum stimmigen Gesamtpaket aus Sinn, Erotik und Konsum

Immer wieder knirscht es so im Getriebe des Bühnengeschehens. Dann muss Steven Scharf als François sich die nächste Szene anmoderieren: "Ich treffe mich mal lieber mit Lempereur." Alle Schauspieler sprechen mit Mikroports; heraus kommt ein akustischer Einheitsbrei ohne jede Differenzierung. Auch die Drehbühne wird ausgiebig, doch zumeist völlig sinnfrei eingesetzt.

Die politische Gemengelage wird zwischendurch in Monologen referiert: Wie die Bruderschaft der Muslime allein regiert, weil die Linken zu unentschlossen sind. Wie Frauen Kopftücher aufsetzen und aufhören zu arbeiten. Und wie die Sorbonne von Saudi-Arabien gekauft wird - inklusive der Hochschullehrer, die ihre üppigen Gehälter in minderjährige Ehefrauen investieren. Für den desillusionierten François bietet der Islam ein stimmiges Gesamtpaket aus Sinn, Erotik und Konsum.

Ein Video der französischen Identitären Bewegung wird eingeblendet, auch eine Rede von Marine Le Pen wird zitiert. Sonst aber bleibt die Wirklichkeit draußen. Das meiste wird unkommentiert runtergesprochen. Auch ein Zitat von Ali Chomenei: "Wenn der Islam nicht politisch ist, ist er nichts". Beatrix von Storch hat mit einer ähnlichen Aussage vor einer Woche für Aufsehen gesorgt - was mal wieder beweist, dass Houellebecqs These von der Nähe islamistischer und rechtspopulistischer Ideologie gar nicht so falsch ist.

Der Abend findet keine Haltung zur Dystopie, von der er berichtet. Das Faszinierende an Houellebecqs Roman ist das Nebeneinander von Bekanntem und Undenkbaren. Hier aber ist alles in eine klinische Parallelwelt gerückt. In heiklen Momenten weichen Stephan Kimmig und seine Bühnenbildnerin Katja Haß in Bilder aus. Wenn François zum Islam konvertiert, senkt sich die Bühnendecke ab, Himmel und Erde berühren sich. Das ist ein hübscher Effekt. Aber mit hübschen Effekten kriegt man diesen diskursiven Stoff nicht in den Griff.

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