Karl Berbuer landete 1948 einen Karnevalshit mit seinem "Trizonesien-Song". Das Lied verband milde Satire auf die Nachkriegs-Aufteilung Westdeutschlands in drei Besatzungszonen mit der auch angetrunken stets mitsingbaren Refrainzeile: "Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm". Unter anderem beteuern die "Eingeborenen von Trizonesien": "Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen umso besser!"
Auf der Bühne des Theaters Oberhausen ertönt der "Trizonesien-Song" monoton gefiltert in einer Art Trance-Version. Dazu tanzt das Ensemble, gekleidet in Tierprint-Uniformen. Die Choreografie erinnert an das "Thriller"-Video von Michael Jackson. Die Zombies in diesem Video sind ja auch irgendwie Menschenfresser. Die rassistischen Konnotationen muss man selbst mitdenken.
Ja, die Semiotik des kölschen Karnevals kann komplexer ausgedeutet werden, als so mancher Immi glauben mag. "Immis", das sind in Köln solche, die man in München "Zuagroaste" nennt, also jene, die von woanders kommen. Und um das Paradox einer Kultur, die einerseits alle im Kölschrausch umhalsen möchte, aber gleichzeitig darauf besteht, "dat Hätz vun dr Welt" schlage in Kölle, um dieses Paradox also geht es in Joana Tischkaus "Playbackmusical" mit dem Titel "Karneval" am frisch sanierten Oberhausener Theater.
Selbstgesetztes Ziel des Abends ist die Entlarvung ausgrenzender und rassistischer Stereotypen, Kritik an "cultural appropriation" durch Kostüme und an Deutschtümelei, die sich hinter Brauchtumspflege verschanzt. Die Drehbühne ist mit einer konvexen Wand aus Bierfässern bestückt, dahinter verbirgt sich eine Showtreppe, die seitlich mit Holz verschalt ist. In diesem Bühnenbild trippeln und trappeln unfrohe Clowns herum.
Unterlegt ist das Ganze mit verfremdeten Loops von Karnevalskrachern wie "Echte Fründe" und Mallorca-Party-Hirnabtötern wie "Der Bass muss ficken". Zwischendurch laufen O-Töne aus dem Off, zu denen die Schauspieler (mehr oder weniger) synchron die Lippen bewegen. Da beschwert sich Annegret Kramp-Karrenbauer, dass die Karnevalstradition nicht einer allgemeinen Verkrampfung weichen dürfe, die "jedes Wort auf die Goldwaage" lege. Eine andere Stimme beschwört kölsche Mundart als Kultur, die man zur Not auf der "Akademie för ons kölsche Sproch" lernen müsse, um dazuzugehören.
Thomas Gottschalks Kraushaar-Perücke
Zu alldem agieren die Darsteller wahlweise in Clownsmonturen oder Kostümen, die dem Kleidungsstil der afrikanischen Sapeur-Community nachempfunden sind. Sie grinsen, greifen sich in den Schritt, reihen sich an einer Tafel auf wie ein Festkomitee. Und sie tanzen viel, was kurzweilig ist, aber gerne noch kürzer hätte ausfallen dürfen. Thematisch verbunden ist das alles durch Szenen aus Disneys "König der Löwen", in der es viel um die Identitätssuche des kleinen Simba und damit im übertragenen Sinne irgendwie jener der deutschen Nation geht. Man kann nur hoffen, dass mit Disney die Nutzungsrechte geklärt wurden.
Das alles würde man, wäre man in Köln und nicht im Ruhrgebiet, "e betzje latschich" nennen, also: eine Spur unpräzise gearbeitet. An Einsatzbereitschaft mangelt es nicht. Den krankheitsbedingt ausfallenden Schauspieler Henry Morales ersetzt Regisseurin Joana Tischkau persönlich, gemeinsam mit Choreografie-Assistentin Rahma Klein.
Letztlich fehlt es aber nicht nur an Genauigkeit in der Umsetzung, sondern vor allem an inhaltlichem Biss. Ja, es spricht für sich, wenn zum Beispiel Thomas Gottschalk sich nicht entblödet, in einem Interview zu behaupten, er habe auf einer "Party in Beverly Hills, wo nur weiße Banker waren" zum ersten Mal erlebt, "wie man sich als Schwarzer fühlt", weil er sich als verunglückter Jimi-Hendrix-Tribute-Act das Gesicht schwarz angemalt und eine Kraushaarperücke aufgesetzt hatte.
Aber haben solche Offenbarungseide nicht viel mehr mit allgemeiner "Man wird ja wohl noch dies oder jenes sagen oder tun dürfen"-Borniertheit zu tun als mit dem Karneval, der hier aufgespießt werden soll? Dabei gäbe es ja genug Material: Etwa die zahlreichen Vereine, die sich "Negerköpp" nannten, was schon vor einiger Zeit zur Forderung "Fiere, net diskriminiere!" führte. Auch die Kölner Mundartband The Piano Has Been Drinking thematisierte vor Jahrzehnten mit "Saddam Alaaf" die dumpfen Aspekte des Karnevals. So etwas hätte hier gut gepasst.
Im Ergebnis ist "Karneval" eine vergebene Chance. Man fühlt sich an das Studententheater erinnert - sympathisch, aber zahnlos. Immerhin können ein paar Zuschauer tatsächlich irgendwann der Verlockung nicht widerstehen. Im Rhythmus der Musik klatschen sie mit. Das ist dann aber keine Satire, das ist echter Karneval.