Theater:Neuland

Der Oeffentliche Raum in Zeiten des Coronavirus

Botschaft ohne Publikum: Theater und Opern werden zu den letzten Einrichtungen zählen, die wieder auf Normalbetrieb umstellen können.

(Foto: Paul Langrock/laif)

Theater setzen auf Kurzarbeit und denken über Notprogramme nach. Doch wie sieht die Finanzierung der Häuser nach der Corona-Krise aus?

Von Peter Laudenbach

Während die Hilferufe aus der freien Szene nicht abreißen, versuchen die Stadt- und Staatstheater, den Krisenmodus zu managen. Marc Grandmontagne, der Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, nennt es eine "Riesenherausforderung". Vieles ist Neuland, zum Beispiel die Einführung von Kurzarbeit oder die Frage, wie die vielen Freiberufler und Gäste bezahlt oder auch nicht bezahlt werden. Nicht alle Intendanten legen dabei Wert auf Anstand oder auch nur minimale Fairness. Ein Regisseur berichtet, dass ein großes Staatstheater den Vertrag für eine lang vereinbarte, für kommende Spielzeit geplante Inszenierung einfach nicht unterschreibt. So entgeht die Bühne allen Verpflichtungen, falls die coronabedingte Theaterschließung länger anhalten und die geplante Inszenierung nicht stattfinden sollte.

Ludwig von Otting, früher über viele Jahre Geschäftsführer des Hamburger Thalia-Theaters und heute im Vorstand der Künstlerinteressenvertretung Ensemble-Netzwerk, weiß von Dutzenden Gastschauspielern, denen die Bühnen vereinbarte Gagen nicht auszahlen wollen. "Betroffen davon sind sicher Hunderte freiberufliche Künstler", sagt von Otting. "Dabei wird oft argumentiert, dass finanzielle Ansprüche bei höherer Gewalt entfallen. Abgesehen davon, dass das schäbig ist, ist es auch juristisch nicht haltbar. Das Betriebsrisiko liegt immer beim Veranstalter. Im Ergebnis droht eine Flut von Prozessen."

Während einige Intendanten im Umgang mit ihren nicht durch eine Festanstellung geschützten Mitarbeitern Rücksichtslosigkeit demonstrieren, üben sich viele Künstler in praktischer Solidarität. Das Ensemble-Netzwerk sammelte bei seinen Mitgliedern und Unterstützern in relativ kurzer Zeit 50 000 Euro. Damit sollen hundert freiberufliche Künstler, denen die Einnahmen weggebrochen sind, unbürokratisch mit je 500 Euro ad hoc unterstützt werden. Die Deutsche Orchesterstiftung hat für einen Nothilfefonds in wenigen Wochen 1,1 Millionen Euro gesammelt. Unter den Spendern waren viele Orchestermusiker, etwa von den Berliner Philharmonikern. Der Notfallfonds unterstützt Musiker aller Genres, die jetzt ohne Auftritte und Gagen über die Runden kommen müssen, mit je 500 Euro. Marc Grandmontagne weiß von Theaterintendanten, die privat für in finanzielle Bedrängnis geratene Künstler spenden. Allerdings fällt auf, dass die Theater zumindest öffentlich wenig Initiative zur Unterstützung der unabgesicherten Kollegen zeigen. Die Großverdiener der Branche, zum Beispiel die Intendanten der Staatstheater in Hamburg, Berlin, Stuttgart oder München mit Jahresgehältern von deutlich über 150 000 Euro, könnten ja auf die Idee kommen, nicht nur vornehm gesellschaftlichen Zusammenhalt anzumahnen, sondern sich ein Vorbild an Kirill Petrenko zu nehmen. Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker hat nicht nur die Schirmherrschaft über den Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung übernommen, sondern auch selbst einen erheblichen Betrag dafür gespendet. Wer wie die Theaterintendanten gerne von Solidarität redet und sie bei der Theaterfinanzierung vom Rest der Gesellschaft einfordert, muss sie auch selbst üben, wenn ihm und ihr an der eigenen Glaubwürdigkeit gelegen ist.

Bisher kommen die Festangestellten an den Bühnen im Gegensatz zu ihren prekär beschäftigten Kollegen recht kommod durch die Krise. Die Gehälter laufen auch bei eingestelltem Spielbetrieb weiter. Die privatrechtlich als GmbHs organisierten Theater wie die Berliner Schaubühne oder das Hamburger Thalia-Theater haben auf Kurzarbeit umgestellt. Am Thalia-Theater etwa bedeutet das analog zu den von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verhandelten Regelungen eine Gagenabsenkung auf 90 Prozent. Joachim Lux, der Thalia-Intendant, ist zwar selbst nicht in Kurzarbeit, will aber aus Gründen des Anstands zehn Prozent seines Gehalts spenden, einfach um nicht besser durch die Krise zu kommen als seine Kollegen. Marc Grandmontagne vom Deutschen Bühnenverein geht davon aus, dass in den kommenden Wochen auch die übrigen, nicht als GmbHs organisierten Bühnen in Kurzarbeit gehen werden. Der Bühnenverein will die Regelungen, die Verdi für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit den Ländern und kommunalen Arbeitgebern aushandelt, auf die künstlerisch Beschäftigten an den Theatern übertragen. Mit der Kurzarbeit werden viele Bühnen ihre coronabedingten Einnahmeausfälle zumindest zum Teil kompensieren können.

Ohne Spielbetrieb sind die Theater und Opern nur sehr teure, leer stehende Gebäude

Ludwig von Otting vom Ensemble-Netzwerk begrüßt diese tariflichen Regelungen im Prinzip. Aber er hat zwei große Fragezeichen: Was ist, wenn die Einsparungen durch Kurzarbeit höher sind als die Einnahmeausfälle, wenn einzelne Bühnen also dank der Sozialkassen ihre Budgets auf Kosten ihrer Mitarbeiter sanieren? Und was ist mit den vielen ohnehin nicht üppig bezahlten Bühnenkünstlern, von denen viele schon ohne Kurzarbeit "nicht mehr als 2500 Euro brutto verdienen"? Da sind auch Gehaltskürzungen von zehn Prozent schmerzhaft. Andererseits: Weshalb sollten ausgerechnet die Theater ohne Einschnitte durch die Krise kommen, während Verkäuferinnen, Kellner, Restaurantbetreiber, Buchhändler und Hunderttausende Selbstständige und Angestellte um ihre berufliche Existenz bangen müssen? Und weshalb muss ein Theaterstar, der nicht spielt, unbedingt mehr Kurzarbeitergeld erhalten als ein Regieassistent oder ein Berufsanfänger, der auch nicht spielt?

Auf lange Sicht wird eine andere Frage drängender werden: Wie legitimieren die geschlossenen Bühnen die öffentlichen Zuwendungen, die bei von den Städten und Ländern getragenen Theatern und Opern den Großteil des Etats ausmachen? Die Zuwendungen aus Steuermitteln sicherten vor der Krise das reichhaltige Angebot, die künstlerische Unabhängigkeit und die bezahlbaren Eintrittskarten. Ohne Spielbetrieb sind die Theater und Opern nur sehr teure, leer stehende Gebäude. Dass viele Bühnen in ihren Werkstätten Atemschutzmasken nähen, ist eine sympathische Geste der Solidarität. Dass die Theater mal mehr, mal weniger gelungen Aufführungen streamen, zeigt in den meisten Fällen vor allem, dass Theater auf dem Monitor bestenfalls als Erinnerung an bessere Zeiten funktioniert. Auf Dauer wird das als Gegenleistung für die öffentliche Finanzierung zu wenig sein.

Schon jetzt klagen viele Kommunen angesichts wegbrechender Gewerbesteuereinnahmen über leere Kassen. Nach der Corona-Krise werden die öffentlichen Haushalte unter Sparzwängen leiden. Je länger die Theater nicht spielen können, desto deutlicher wird sich die Frage stellen, ob ihre Träger von einer Finanzierung des nicht mehr stattfindenden Spielbetriebs auf eine Art Grundsicherung mit herabgesetzten Zuwendungen umstellen müssen. Aufgabe der Verantwortlichen wäre dann nicht das breit gefächerte Angebot von Theater, Opern und Konzerten zu bezahlbaren Eintrittspreisen, sondern ein coronakompatibles Notprogramm und die Stabilisierung der kulturellen Infrastruktur für die Zeit nach der Krise.

Der Intendant der Komischen Oper Berlin rechnet mit einer Schließung bis Jahresende

Wann das sein wird, ist derzeit völlig offen. Klar ist nur, dass Theater und Opern zu den letzten Einrichtungen zählen werden, die wieder auf Normalbetrieb umstellen können. Vielleicht wird das erst möglich sein wird, wenn ein Impfmittel gegen Covid-19 zur Verfügung steht. Dass etwa Oliver Reese, der Intendant des Berliner Ensembles, hofft, mit Beginn kommender Spielzeit wieder wie gewohnt Theater spielen zu können, zeugt von Optimismus. Eines der möglichen Szenarien, mit denen Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Berlin, rechnet, geht von einer Schließung bis Jahresende aus. So lange muss improvisiert werden. Gerald Mertens, der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, berichtet von Orchestermusikern, die einfach zu zweit vor den Fenstern eines Altersheims spielen. Er kann sich vieles vorstellen, etwa Kammerkonzerte in größeren Sälen mit kleinem Publikum. "Jetzt müssen die Bühnen und Orchester zeigen, was sie der Gesellschaft geben können", findet Mertens. Auch Joachim Lux denkt darüber nach, wie an seinem Thalia-Theater Aufführungen unter Einhaltung der notwendigen physischen Distanz möglich sein könnten. Ein nur zu einem Fünftel besetzter Zuschauerraum mit vielen leeren Plätzen, das Publikum mit Mundschutz, ein sehr vorsichtiger, auf Abstand bedachter Einlass, Schauspieler, die peinlich darauf achten, sich nicht zu nahe zu kommen - es ist eine gespenstische Vorstellung. Aber wer weiß, vielleicht entstehen so neue Formen des Theaters. Becketts "Endspiel" zum Beispiel dürfte so hervorragend zu spielen sein. Und vielleicht vermissen viele Menschen das Theater und die Begegnung mit anderen so sehr, dass Theateraufführungen unter Social-Distance-Konditionen ihnen helfen, besser durch diese Zeit zu kommen.

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