Theater:Mit Franz Rogowski ins Grand Theft Auto

Der Regisseur Alexander Giesche hat Tom McCarthys Roman "8 ½ Millionen" für die Kammerspiele adaptiert. Um dessen digitalen Aspekt wiederzugeben, lässt er seine Schauspieler schon mal in Computerspiele einprogrammieren

Von Christiane Lutz

Die Zigarette wird er sich niemals so perfekt anzünden können wie Joaquin Phoenix. Der Rauch würde ihm in die Augen stechen, womöglich würde er stolpern. Das belastet den namenlosen Mann in Tom McCarthys Roman "8 ½ Millionen" so sehr, dass er beschließt, die perfekte Wiederholung seines eigenen Lebens zu erschaffen, bis es sich wieder echt, bis es sich vollkommen anfühlt. Er will das mit Hilfe von 8 ½ Millionen tun, die er nach einem mysteriösen Unfall erhalten hat.

Als Tom McCarthys Roman 2009 erschien, hat sich Regisseur Alexander Giesche darauf gestürzt, und er war sofort fasziniert von der irren Geschichte des Namenlosen. Er hatte damals gerade sein erstes Smartphone gekauft. Schnelles Internet auf dem Handy war noch ein holpriges Versprechen für wenige Auserwählte, Facebook schwappte langsam nach Europa und Instagram gab es noch gar nicht. Das zu sagen ist deshalb wichtig, weil Giesche der Meinung ist, McCarthys Roman habe etwas vorweggenommen: das Gefühl der Entgrenzung, das Menschen empfinden, wenn sie in einem Moment und doch nicht im Moment sind.

Alexander Giesche

Digitaler Grenzgänger: Alexander Giesche, Jahrgang 1982, verabredete sich in seiner Jugend noch ohne Handy am Fischbrunnen. Heute ist er fasziniert von der immer neuen Technologie.

(Foto: Julian Baumann)

Beispiel: Man macht ein Foto und denkt währenddessen bereits darüber nach, wie man sich damit auf Facebook präsentiert. Oder wie der Namenlose eben, für den sich seine Handlungen nach Wiederholungen anfühlen, die nicht ganz an das Original heranreichen. "Die perfekten Abläufe, die uns medial vorgelebt werden, die existieren real ja gar nicht", sagt Giesche, rosa Pulli, flauschige Mütze, "deshalb versucht man die ganze Zeit, dem Vorgelebten nachzueifern." Er inszeniert McCarthys Roman nun an den Kammerspielen in der Kammer 2, seine erste Romanadaption. Giesche macht aber klar: Auf den Technikfritzen möchte er nicht festgelegt werden. Die Digitalisierungsmetapher funktioniere zwar in dem Roman, sie sei aber, wie so oft, nur eine mögliche Lesart.

Giesche spielt in seinen Theaterarbeiten sehr gern mit Technologie. Bei "Yesterday You Said Tomorrow" tapsten die Schauspieler mit einer Art Virtual Reality Brille über die Bühne, bei "Normcore" verwandelten sich zwei Freunde in Computerfiguren. Giesche interessiert sich besonders für die Auswirkungen von Fortschritt und Technologie auf die Gesellschaft und dafür, was das fürs Theater heißt. Seine Inszenierung "Yesterday You Said Tomorrow" beschreibt er allerdings selbst als weniger geglückt, zu schwarz-weiß sei der Abend geworden, zu kulturpessimistisch. Das nagt noch an ihm, weil er eben keiner ist, der die Digitalisierung verdonnert. Doch er ist eben auch ein Pionier: Das Theater beschäftigt zwar einen Schreiner, einen Programmierer hat es (noch) nicht. Für "8 ½ Millionen" lies Giesche Schauspieler Franz Rogowski in das Computerspiel "Grand Theft Auto 5" einbauen und musste dazu einen 3D-Animateur beauftragen. Und die sind teuer.

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum am Theater noch so wenig mit digitalen Erzählformen experimentiert wird. "Am Theater möchte ich doch überrascht werden. Ich möchte in meinen Sehgewohnheiten herausgefordert werden", sagt Giesche. Er passt damit zu Matthias Lilienthals Theaterverständnis, das geprägt ist von Experimenten mit neuen Formen und dem ständigen Unterlaufen etablierter Theatercodes. Auch Giesches nächstes Projekt steht schon fest: Er will das Internet sinnlich erfahrbar machen. "Weil Digitalisierung eben unsere Realität ist. Das ist bei vielen noch immer nicht ganz angekommen."

8 ½ Millionen, Freitag, 4. November, 20 Uhr, Kammerspiele, Kammer 2

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