Theater: Lulu - die Nuttenrepublik:Probleme mit der Sitte

Ein PR-Gag: Volker Löschs angeblicher Hurenchor in der Berliner "Lulu" sind nun doch keine echten "Sexarbeiterinnen". Und dann sind sie auch noch unterbezahlt.

Peter Laudenbach

Vielleicht hätte man das knallige Programmheft zu Volker Löschs "Lulu"-Inszenierung an der Berliner Schaubühne doch etwas ernster nehmen sollen. Lösch hatte seine eher grobmaschige Wedekind-Adaption mit einem beeindruckenden Chor von Berliner Prostituierten collagiert.

'Lulu - Die Nuttenrepublik' an der Schaubühne in Berlin

Diese Dame ist "echt": Schauspielerin Laura Tratnik spielt die Lulu in dem Theaterstück "Lulu - Die Nuttenrepublik" an der Schaubühne in Berlin, inszeniert von Volker Lösch. Doch der Hurenchor ist nun doch kein echter, sondern besteht ebenfalls aus Schauspielerinnen. Und zwar aus unterbezahlten.  

(Foto: dpa)

Über die Tätigkeitsfelder der Chor-Frauen im echten Leben informierten die Werbetexte mit Liebe zum Detail: Von der "Bizarr-Lady" und der "Domina" über die "Pornodarstellerin" bis zur "Puffmutter" und "Sklavia" reicht das Spektrum der Authentizität verbürgenden Chor-Damen.

Aber offenbar war eine neckische Frage im Programmheft ("Wer prostituiert sich nicht?") mehr als ein etwas platter kapitalismuskritischer Scherz. Wenn sich im Dienstleistungsgewerbe ohnehin alle ständig verkaufen müssen, wenn wir also eigentlich alle Prostituierte des Marktes sind, ist es am Ende auch egal, ob die "Berliner Sexarbeiterinnen" (Programmheft) wirklich vom Fach sind. Einige Tage nach der Premiere musste die Schaubühne auf Nachfrage bestätigen, dass vier der fünfzehn Chor-Frauen ganz normale Jungschauspielerinnen sind.

Was nicht weiter ehrenrührig wäre, wenn die Schaubühne sie im Chor der "Berliner Sexarbeiterinnen" auch als solche vorgestellt hätte. Aber die wirkungsbewusste (um nicht zu sagen: PR-geile) Dramaturgie des Hauses wollte diesen Umstand - verständlicherweise - lieber verschweigen. Denn egal, ob Lösch für seine Laien-Chöre Migranten, Hartz IV-Empfänger oder Prostituierte engagiert - das Authentizitätsversprechen ist das Interessanteste an seinen lautstarken Inszenierungen. Fällt es weg, bleibt außer aggressiven Parolen wenig übrig.

Und noch ein anderes Glaubwürdigkeitsproblem hat der Regisseur seit kurzem. Durch eine Aussteigerin des "Lulu"-Chores wurde bekannt, dass die Gagen der Chor-Darsteller kaum zu Löschs sozialem Anspruch passen. Für sechs Wochen Probenzeit sollen sie nur einige hundert Euro erhalten haben. Die Abendgage für die anstrengende Show beträgt bescheidene 80 Euro. Löschs Regie-Gage dürfte nicht unter 25000 Euro liegen.

So setzt sich die von Lösch gerne attackierte Klassengesellschaft auf der Bühne und in den von ihm selbst geschaffenen Arbeitsbedingungen fort. In anderen Branchen nennt man so eine Bezahlung: sittenwidrig.

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