Schön, dass der weichgespülte Befindlichkeits-Sound jetzt auch im Rotlichtmilieu angekommen ist: "Ich habe den besten Job der Welt. Es ist so schön zu geben. Allein für das Geld würde ich das nicht machen". Das ist das Mantra des modernen Dienstleisters, der weiß, dass er nicht nur für seine Arbeit bezahlt wird, sondern auch dafür, dass er sich mit ihr identifiziert. In Volker Löschs "Lulu"-Inszenierung an der Berliner Schaubühne ist es einer der Selbstbewusstsein signalisierenden Merksätze, den ein Chor von Prostituierten zur Arbeitsplatzbeschreibung deklamiert: "Im Escort ist man in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen. Ich biete Entertainment auf allen Ebenen." So nonchalant und schlüssig lässt sich die Brücke von der Prostitution zum ganz normalen Wirtschaftsleben schlagen.
Etwas konturlos: Laura Tratnik als Lulu in Volker Löschs Inszenierung "Lulu - Die Nuttenrepublik" an der Schaubühne in Berlin.
(Foto: dpa)Der Regisseur Volker Lösch, der die Laien-Chöre aus wechselnden Randgruppen zum Markenzeichen seines wuchtiges Agitprop-Theaters gemacht hat, hat Berliner Prostituierte engagiert, um Wedekinds "Lulu" vom späten 19. ins frühe 21. Jahrhundert zu holen - Untertitel: "Die Nuttenrepublik". Weil der Chortext aus Interviews mit den fünfzehn Frauen montiert ist, erfährt man in ihren beeindruckenden Auftritten Genaueres über ihre Arbeit als in den üblichen Unterhaltungsformaten, die das Thema gerne voyeuristisch ausbeuten.
Zum Beispiel, dass Freier im Internet in "Verkehrsberichten" die Qualität der Sexarbeiterinnen bewerten: "Ich habe mich nie als Ware gefühlt", berichtet der Chor. "Aber in dem Verkehrsbericht über mich stand etwas von Hardware und Software. Die Skala geht von neun bis null. Und null heißt: Poppt wie ein Schaf." Spätestens hier stellt sich genau die Mischung aus Ekel vor den Freiern und Respekt vor den Frauen ein, die das Privatfernsehen bei seinen Rotlicht-Exkursionen zugunsten lüsternen Schauders vermeidet.
Volker Lösch wurde, nicht ganz zu Unrecht, oft der Vorwurf gemacht, dass seine klischierten Opfergruppen letztlich nur zur Illustration eines reichlich simplen, schön übersichtlich in Täter und Opfer sortierten Weltbildes dienen: Kapitalismus böse, Revolution gut. So instrumentalisiert der Regisseur seine Randgruppenchöre ideologisch und macht sie erst Recht zu Opfern. Dass das diesmal wesentlich differenzierter ist, liegt an der Würde und dem nüchternen Selbstbewusstsein, mit dem diese Frauen über ihr Leben und ihre Arbeit berichten.
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