Süddeutsche Zeitung

Theater:Lifestyle versus Allah

Unterhaltsam, aber entschärft: Ayad Akhtars Assimilations-Tragikomödie "Geächtet" am Resi

Von Cornelia Fiedler

Das Hysterie-Level öffentlicher Debatten ist gerade optimal für dieses Stück: Seit der neuen Zeitrechnung "nach Köln" tritt ja meist nur noch "Team Panik" gegen "Team Verharmlosung" an. Argumentationen, die mehr als zwei Denkschritte erfordern, müssen leider draußen bleiben. Die ernüchternde Dynamik, wie aus intellektuellem Plaudern binnen Minuten eine hasserfüllte Schlammschlacht wird, untersucht der amerikanische Dramatiker Ayad Akhtar in "Geächtet". Als "Stück der Stunde" erobert es die deutschsprachigen Bühnen derzeit im Flug. In München hat es jetzt der niederländische Regisseur Antoine Uitdehaag auf die Bühne des Residenztheaters gebracht - im abgesicherten Modus.

Draußen, vor den hohen Fenstern glitzert Manhattan, drinnen, im stilsicher weiß möblierten Salon von Bühnenbildner Momme Röhrbein, zelebrieren Künstlerin Emily und Wirtschaftsanwalt Amir ihren amerikanischen Traum. Man bewegt sich in liberal intellektuellen Kreisen und glaubt jede Zuschreibung aufgrund von Herkunft oder Religion ganz selbstverständlich überwunden. Zur Sicherheit hat Amir allerdings nach 9/11 seinen pakistanischen Nachnamen abgelegt. Als der wichtige jüdische Galerist Isaac und seine afroamerikanische Frau Jory, Amirs Anwalts-kollegin, zum Dinner kommen, läuft alles perfekt, bis das Gespräch das Thema Islam berührt - und die Lage eskaliert.

"Im Suff gesteht Amir einen Hauch von Freude über den 11. September."

Uitdehaag hat die Rollen offenbar nach der Optik besetzt: Bijan Zamani spielt Amir, als Afroamerikanerin Jory wurde, da das Ensembles die Diversität im Einwanderungsland leider so gar nicht widerspiegelt, die Berliner Schauspielerin Lara-Sophie Milagro engagiert. Dieser Fernseh-Realismus passt zur recht konventionellen Inszenierung und Spielweise, die zwar die Wortgefechte sauber auf den Punkt bringt, aber insgesamt etwas wenig Fahrt aufnimmt. Am stärksten ist Götz Schultes Isaac mit seiner volltönenden, betont autochtonen Selbstherrlichkeit, die keine Grenzen mehr kennt, seit er auch noch eine Affäre mit Emily (Nora Buzalka) hat.

"Geächtet", 2013 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, wird gern mit Yasmina Rezas "Gott des Gemetzels" verglichen. Die große Qualität dieses Stücks liegt allerdings nicht so sehr in der komischen Eskalation. Vielmehr setzt sich Akhtar zwischen den Lachern bewusst unbequem mit Fragen "muslimischer" Identität auseinander: mit Zuschreibungen und Vorurteilen einerseits und mit der Wirkmacht einer religiösen Sozialisation andererseits. Seine Hauptfigur Amir hat sich bewusst vom Islam abgewandt, er sieht ihn als gefährlich und menschenverachtend. Beim Plaudern über Emilys ausgerechnet von islamischer Kunst inspirierte Werke akzeptiert er keine Unterscheidung zwischen "Islamfaschismus", Zitat Isaac, und Religion als Privatsache. Als er dann aber im Suff und in gefühlter Sicherheit unter Freunden gesteht, am 11. September einen Hauch von Freude empfunden zu haben, ist es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Isaac beschimpft Amir als "Drecksdschihadisten", jeder brüllt jeden an, und als dann noch die Affäre auffliegt, tickt Amir aus.

Uitdehaag entschärft diese Szene, Amir versetzt seiner Frau in München lediglich eine schallenden Ohrfeige, verprügelt sie aber nicht wie im Text vorgesehen. Dennoch sitzt der Anwalt am Ende vor den Scherben seiner gesamten Existenz. Akhtar lässt ihn und das Publikum allein mit einer letzten bitteren Pointe: Als Amirs Neffen Abe erfährt, dass es nicht einmal Amir, dem Vorzeige-Assimilierten, gelungen ist, auf Dauer akzeptiert zu werden, bricht eine Welt zusammen. Diese Demütigung will er sich ersparen. Wenn es für Abe noch einen Halt im Leben geben kann, dann nur in der strengen Treue zur Religion - eine Bankrotterklärung für eine ganze Gesellschaft.

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SZ vom 06.02.2016
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