Theater:Kunst der Gebärde

Theater: Was wäre, wenn Schauspieler im echten Leben unterwegs wären und einsamen Menschen vorspielten, sie seien nicht allein? Das ist die Idee von "Die Hauptsache".

Was wäre, wenn Schauspieler im echten Leben unterwegs wären und einsamen Menschen vorspielten, sie seien nicht allein? Das ist die Idee von "Die Hauptsache".

(Foto: DGT)

Im Stück "Die Hauptsache" stehen hörende und gehörlose Schauspieler gemeinsam auf der Bühne

Von Christiane Lutz

Um den Sonntag gab es Diskussionen. In Bayern nämlich faltet man in der Gebärdensprache für das Wort Sonntag die Hände, in Berlin streicht man sich über die Brust. So, als wolle man das feine Hemd glatt streichen. Ähnliche Debatten führte man um den Montag, auch der sieht in Berlin anders aus als in München. Der Regisseur Jeffrey Döring und sein Team aus hörenden und gehörlosen Schauspielern einigten sich in den meisten Fällen auf die Berliner Version. Gemeinsam probten sie "Die Hauptsache", einen Text nach dem gleichnamigen Stück von Nikolai Evreinov, das jetzt im Carl-Orff-Saal des Gasteig Premiere hat. Es ist das erste Projekt des Deutschen Gehörlosentheaters, bei dem hörende und gehörlose Schauspieler zusammen spielen. Bisher standen bei den Inszenierungen ausschließlich Gehörlose auf der Bühne und sprachen in Gebärdensprache, auch die meisten Zuschauer waren gehörlos. Der Wunsch des Münchner Vereins ist es, hörende und gehörlose Künstler wie Zuschauer zusammenzubringen.

"Theater für Gehörlose ist meist sehr unästhetisch", sagt Jeffrey Döring, 27. Es gefalle ihm nicht, wie Inszenierungen einfach durch einen Gebärdendolmetscher am Rand der Bühne oder Übertitel verständlich gemacht würden. "Die Gebärdensprache wird nicht mitinszeniert", sagt er. Dabei ist er total begeistert vom ästhetischen Potenzial, das in der Gebärdensprache schlummere. "Sie bewegt sich zwischen Performance und Tanz - es ist doch schade, dass das nicht viel häufiger künstlerisch genutzt wird." Er selbst ist hörend und fing durch die Freundschaft mit einer gehörlosen Frau an, sich mit Gebärdensprache zu beschäftigen und zu ihr zu forschen. Obwohl er als Regisseur in Leipzig lebt, bewarb er sich deshalb auf die Ausschreibung des deutschen Gehörlosentheaters.

Er fand "Die Hauptsache" dann den richtigen Stoff für das Projekt. Der russische Autor und Theaterphilosoph Nikolai Evreinov, heute eher vergessen, war der Annahme, dass die Menschen alle im Alltag Theater spielen. Und dass die Gesellschaft ein Gutes daran täte, das anzuerkennen und sich das außerdem zu Nutze zu machen. Also: Schauspieler hätten im Theater nichts verloren. Wenn jemand einsam ist, sollten sie demjenigen lieber vorspielen, er sei geliebt, so lange, bis es ihm besser ginge. Der Staat sollte die Schauspieler dafür bezahlen. So die Theorie.

Lustigerweise hat Evreinov dann doch ein Theaterstück fürs Theater geschrieben, in dem diese Philosophie gelebt wird. Ein wohlhabender Lebemann entschließt sich, der Menschheit Gutes zu tun und schickt ausgebildete Schauspieler los, einsamen und traurigen Menschen etwas vorzuspielen. Es kommt zu allerhand Missverständnissen und Verwechslungen, was für Döring neben seiner Begeisterung für Evreinov der zweite Anhaltspunkt war, den Stoff zu adaptieren. "Im Austausch zwischen Hörenden und Gehörlosen kommt es doch auch ständig zu Missverständnissen", sagt er. Auch die Proben waren voller mühsamer Übersetzungstänzchen und Missverständnisse. Döring legte großen Wert darauf, dass auch die Hörenden Gebärdensprache lernten - ein wenig zumindest. So erhielten alle Unterricht in Gebärdensprache und fanden heraus, dass es große regionale Unterschiede gibt - siehe das Zeichen für "Sonntag". Anfangs sei das so anstrengend gewesen, dass sich die Schauspieler in den Probepausen alle wieder in ihre eigenen Grüppchen zurückzogen, inzwischen mischten sich Hörende und Gehörlose, das gefällt ihm sehr. Er wünscht sich, dass sich die beiden Sprachkulturen überhaupt mehr mischen, auch bei den Zuschauern.

Die Hauptsache, Samstag, 2. März, 19 Uhr, Carl-Orff-Saal, Gasteig

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