Theater:Katerstimmung in Walhall

Rhein Gold Kammerspiele

Leben in einer Immobilienleiche: Conrad Ahrens, Paul Wellenhof und Bless Amada (von links) spielen die Götterväter des Kapitalismus.

(Foto: Federico Pedrotti)

Die Otto-Falckenberg-Schule mit Jelineks "Rein Gold"

Von David Renke

Gut, dass die Kammer 3 der Kammerspiele von Haus aus mit ihren roten Backsteinwänden nach Rohbau aussieht. Denn wenn die Studierenden des dritten Jahrgangs der Otto-Falckenberg-Schule Elfriede Jelineks Bühnenessay "Rein Gold" dort spielen, gerät der Raum zur Baustelle: Baufolie, Rollgerüste - der Göttersitz Walhall als Immobilienleiche. Der Göttervater Wotan hat sich mit seinem Domizil verkalkuliert. Es ist der Dialog zwischen Brünnhilde und Wotan im dritten Akt der Walküre, der Jelinek als Ausgangspunkt für eine allumfassende Kapitalismuskritik des 21. Jahrhunderts dient. Die ist schließlich übervoll an Anspielungen, platten Wortspielen (was macht er da, nein, er macht's Erda) und überhaupt ein permanenter Strom an Vorwürfen. Acht Jahre nach der Urlesung ist Jelineks Text nach wie vor aktuell: Rechte Mordtaten erschrecken die Gesellschaft einerseits immer noch - "dem hat man wirklich nicht angemerkt, dass das ein Nazi ist" -, und ablenken lässt sich die vermeintliche Protestgesellschaft andererseits sowieso ganz gerne von einer überwältigenden Unterhaltungsindustrie.

In Christiane Pohles Inszenierung gibt es statt des Dialogs zwischen zwei Figuren zwei Gruppen, B. und W. Die eine, B., ist eine Protestgruppe, die genauso laut deklariert, wie sie infantil ist, die als lammfromme Chorknaben das "Miserere" singen und sich schließlich blind abführen lassen. Die andere Gruppe, W., wird mit wummernder Beatbox-Musik und Plastikmodenschau vorgestellt. So muss wohl die glitzernde Welt des Kapitalismus aussehen. Bloße, plump vorgeführte Kapitalismuskritik reicht Pohle allerdings nicht aus. So ist die Inszenierung vielmehr eine Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft, die einerseits protestieren will und sich gleichzeitig an Katzenvideos erfreut. Eine Jugend, die die Elterngeneration für ihre Probleme verantwortlich macht und von TV-Shows und Zaubervorstellungen abgelenkt wird.

Für plumpe Analogien ist sich Pohle dabei nicht zu schade. Man lässt buchstäblich die Hose runter, man lebt auf großem Fuß, der hier als übergroßes Marmor-Requisit in der Mitte der Bühne steht - das passt zum Text, der ebensolche Anspielungen bietet. Das alles spielen die Studierenden so rasant, dass man gut zwei Stunden gebannt auf den Bänken hockt. Und am Ende gibt es dann doch noch Musik von Wagner. Nicht aus dem "Ring des Nibelungen", sondern das Vorspiel zu "Tristan und Isolde". Warum? Weil das der bessere Abgesang auf die aufgeblähten kapitalistischen Wunschträume ist, denen als Ballett aus aufblasbaren Airsuit-Murmeln zum Abschluss des Stücks buchstäblich die Luft rausgelassen wird. Nichts ist verkauft, der Rohbau bleibt unfertig zurück, aber man hat einen wunderbaren Theaterabend gewonnen.

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