Kurzperformance "Money makes me cry":Eine Portion Emotion, bitte

Kurzperformance "Money makes me cry": Wiebke Puls als persönliche Gefühlslieferantin, die gegen Bezahlung für einen weint.

Wiebke Puls als persönliche Gefühlslieferantin, die gegen Bezahlung für einen weint.

(Foto: Katarina Sopcic)

Für einen Euro heult Wiebke Puls in den Münchner Kammerspielen eine Minute lang für einen Zuschauer oder eine Zuschauerin.

Von Christine Dössel

Hurra, jetzt machen auch die Münchner Kammerspiele wieder auf! Es ist ein erhebendes Gefühl, nach so langer Auszeit in diese Jugendstilhöhle zurückzukehren. Das Parkett ist ausgedünnt, Sitzreihen wurden pandemiegerecht ausgebaut. Der Zuschauerraum strahlt trotzdem die alte Wärme aus. Nicht für 200, nicht für 100, nicht einmal für zehn Zuschauer ist die erste analoge Vorstellung nach sieben Monaten Corona-Schließzeit zugelassen, sondern: für exakt einen.

Ein Zuschauer, eine Zuschauerin trifft auf eine einzelne Schauspielerin, nämlich die Kammerspiele-Matadorin Wiebke Puls, die sich dafür extra herausgeputzt hat - das ist das Prinzip (und der Clou) der Performance "Money makes me cry". Ein Vier-Augen-Theater. Face to face. Ein Solo nur für dich, für mich. Das verspricht Exklusivität und Intimität. Man kann sich darauf freuen wie auf ein Date. Das Versprechen ist, dass man wirklich gemeint ist und eine tröstliche Portion Emotion bekommt. Aber die ist nicht umsonst. Das hier ist ein knallhartes Tauschgeschäft: Kunst für Geld. Gefühlsausbruch gegen Kohle. Wer bezahlt, kriegt geliefert. In diesem Fall: Tränen. Die Wiebke Puls jedem einzelnen zu schenken bereit ist. Sie weint für einen. Oder auch mit einem. Große Heul-doch-auf-Knopfdruck-Kunst. Sie hat das 2005 schon einmal gemacht, zum Abschluss der Intendanz von Tom Stromberg am Hamburger Schauspielhaus, damals wie heute unter konzeptioneller Anleitung von Jan Bosse.

Und siehe da: Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ob es echte Tränen sind? Zähren des Mitgefühls?

Der Vorgang im Einzelnen läuft so ab: Die Zuschauerin bucht einen Timeslot, wie das heute heißt, und erhält am Eingang ein Taschentuch, darauf abgedruckt in schwarzen Lettern der Titel der Performance: "Money makes me cry". Geld bringt mich zum Weinen. Außerdem soll man einen Euro bereithalten. Dieser Euro kommt in den Klingelbeutel, den die Schauspielerin einem zur Begrüßung an einem langen Stab von der Bühne herab entgegenhält.

Sie begrüßt einen persönlich, bittet ihr Gegenüber, sich einen Platz frei nach Wahl auszusuchen. Dann verschwindet sie hinter dem grasgrünen Jugendstil-Vorhang, dem klassischen mit der feinen Stickerei. Lichtwechsel. Dann geht es los, das Empathiehandelsgeschäft: Der Vorhang öffnet sich, Wiebke Puls steht starr da wie ein Klageweib-Automat, groß und schön, in langer, blauer Robe. Sie schaut einen an - und siehe da: Ihre Augen füllen sich mit Wasser. Dann geht der Vorhang auch schon wieder zu. Eine Minute. Das war der Deal.

Ob es echte Tränen waren? Corona-Tränen? Zähren des Mitgefühls? Ob sie länger geheult hätte, hätte man ihr einen Fuffi zugesteckt? Müssen wir uns als Zuschauer schämen ob unseres Voyeurismus? Es sind Gedanken solcher Art, die das Kurzereignis auslöst. Das Taschentuch kam nicht zum Einsatz. Einzeln schleicht man sich wieder. Mit FFP2-Maske im Gesicht und einem negativen Corona-Schnelltest in der Tasche (der bis zum Samstag für diese eine Minute tatsächlich noch verlangt wurde). Merke: Das Theater ist keine Komfortzone, aber immer da in der Not. Allerdings geht Kunst nach Brot.

Zur SZ-Startseite
Umgebaute Sitzreihen zur Einhaltung der Abstandsregeln im Berliner Ensemble, aufgenommen in Berlin, 28.05.2020. Aufgrund

SZ PlusCorona-Kulturhilfe
:Plan für das Ende der Einsamkeit

Der Bund unterstützt die Veranstaltungsbranche mit 2,5 Milliarden Euro. Damit ergibt sich eine Kulturhilfssumme, die weltweit einmalig sein dürfte. Wie genau wird das Geld verteilt?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: