Süddeutsche Zeitung

Theater:Schimären eines Selbstgesprächs

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Für die Berliner Kammerspiele hat Jossi Wieler ein "szenisches Gedicht" von Jon Fosse in einen langen Abend verwandelt, den auch Albernheiten nicht retten.

Von Peter Laudenbach

Der Blick aus dem Fenster kann eine Welt öffnen, selbst wenn es nur der Blick auf Großstadtdächer an einem trüben Novembertag ist. Beim namenlosen älteren Mann in Jon Fosses neuem Stück "Starker Wind" geht der Blick allerdings nicht nach draußen, auch wenn er noch so lange vor sich hinschaut. Hinter tausend Fenstern keine Welt, zumindest keine Außenwelt. Stattdessen verliert er sich in der Art Gegrübel, bei dem einem langsam der Boden unter den Füßen wegrutscht: Hinter wie vielen Fenstern stand ich schon in all den Jahren, oder saß ich nicht eher, und war das überhaupt ich, und was mache ich in dieser Wohnung, und ist das überhaupt meine Wohnung.

Wobei man bei Wohnung natürlich auch an den Ort in der Welt und beim Blick durchs Fenster an den Blick durch die Augen denken kann. Vielleicht befinden wir uns also bei diesem Selbstgespräch auch nur im Kopf des einsamen Grüblers. Und vielleicht sind seine Exfrau und ihr junger Liebhaber, die irgendwann in der Wohnung oder in seinem Kopf auftauchen, auch nur Schimären dieses Selbstgesprächs, bestenfalls Erinnerungen oder Fantasien des einsamen Mannes. Was natürlich eine recht eitle Altmänner-Larmoyanz-Dramaturgie wäre: Die Exfrau schrumpft zum Selbstmitleidsanlass des Verlassenen, der seine Einsamkeitsgrübeleien irgendwie für besonders erlesen und tiefsinnig hält.

Der norwegische Autor ist ein Experte für quälende Selbstgespräche

Vielleicht ist es aber auch einfach nur ehrlich, denn wir befinden uns in der Welt des norwegischen Dichters Jon Fosse, eines Experten für quälende Selbstgespräche, die sich immer tiefer reinbohren in die Einsamkeit und Ratlosigkeit seiner Figuren. Fosse, ein großer Schweiger und früher auch ein großer Trinker, hat sich vor vielen Jahren erst vom Trinken und dann vom Theater verabschiedet, vielleicht war es auch umgekehrt. Sein neues Theaterstück ist also eine Art Rückfall, wobei Theaterstück für diese handlungsarme Meditation ein großes Wort ist. Ehrlicherweise nennt Fosse seinen knapp 40-seitigen Text ein "szenisches Gedicht". Jossi Wieler, ein genauer Leser und großer Könner der subtileren Theatersprachen, hat jetzt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin die deutsche Erstaufführung inszeniert.

Die Zuschauer sitzen in sehr dichten Stuhlreihen auf der Drehbühne der DT-Kammerspiele (die maximale Platzauslastung geht diesem Theater entschieden vor Rücksicht auf Hygiene- und Abstandsbedürfnisse pandemiesensibler Besucher). Als sich der altmodische grüne Vorhang öffnet, kann sich Bernd Moss in den leeren Stuhlreihen des Zuschauerraums durch Fosses Variation der "Wer bin ich und wenn ja wie viele"-Sinnfragen arbeiten. Sein Monolog geht nicht ohne Komik energisch im Kreis ("es ändert sich und ist immer dasselbe"), bleibt genießerisch an einzelnen Vokabeln hängen ("Augenblick - das hässlichste Wort") oder entdeckt die Rätsel der vergehenden Zeit ("wenn man ,jetzt' sagen kann ist es schon vorbei"). Das hat etwas von Tiefsinnshochstapelei. Als dann seine Exfrau (Maren Eggert) und ihr Liebhaber (Max Simonischek, zur Virilitätsdemonstration im schmucken Dreitagebart) relativ abrupt auftauchen, wirken sie lediglich wie die Fortsetzung dieses ziellosen Vorsichhinredens, also leicht unwirklich.

Sowohl die hilflosen Ausbrüche des Verlassenen ("Du kannst nicht einfach mit einem anderen Mann zusammenziehen") als auch die Intimitätsbeweise des neuen Paares samt neckischem Kleidertausch wirken etwas müde und resigniert, wie ein Leidenschaftsremake und das Echo längst vergangener Schlachten. Weil das auf Dauer nicht abendfüllend ist, nicht einmal bei einem 70-Minuten-Abend, rettet sich die Aufführung im letzten Drittel in Albernheiten, wenn die Ex-Frau und ihr Lover an einer knallgrünen Kletterwand an der Rückseite der Bühne herumturnen und die halbnackten Körper mit grüner Farbe beschmieren (Bühne und Kostüme: Teresa Vergho). Vermutlich soll es sich bei diesem Ausbruch unfreiwilliger Komik um die Darstellung von Leidenschaft handeln.

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