Eine der ersten Erfahrungen, die Anna Prohaska mit ihrer heute überschwänglich gelobten Stimme machte, war Peinlichkeit. Denn ihr herausragendes Organ machte ihr als Kind eher Probleme, als dass es Glanz brachte: Im Schulchor stach sie heraus, war nie Teil der Gruppe, was für Kinder nicht immer angenehm ist. Diesen Blick in Prohaskas Innenleben bekommt man in der Opernbude der Münchner Kammerspiele. Dort läuft jeden Nachmittag die Klanginstallation "Talking Melody - Singing Story". Der knapp zwanzigminütige Hörfilm des amerikanische Musikers Paul Brody reißt die oft so perfekt inszenierte Oberfläche der Kunstform Oper auf, lässt etwa Sänger intim plaudern oder befragt Strafgefangene in Alabama zu ihrem Verhältnis zur Oper, genauso wie deutsche Passanten.
Und so platzt an diesem seltsamen Hybrid-Ort der Lack der Oberfläche auf. Der ungarische Musiker und Opernregisseur David Morton hat diese Opernbude nun einen Monat lang im Hof des Schauspielhauses der Münchner Kammerspiele installiert. Ein von außen recht schlichter, kleiner weißer Verschlag. Eine Bude, die natürlich auch zum Shabby-Tiefstapel-Chic der Kammerspiele passt. Doch anders als etwa bei der goldgerahmten Schauspielhaus-Bühne, die als Kammer bezeichnet wird, ist der Ausdruck "Bude" bei diesem Projekt jedoch nicht ironisierend, sondern zutreffend.
David Marton hatte schon die gesamte Spielzeit an den Kammerspielen mit der Kunstform Oper experimentiert. Vor allem warf er dabei deren althergebrachte Größenvorstellungen über den Haufen. Und seine Opernbude, die nun dort im Hof steht, ist ein wenig die Essenz daraus: "Ich wollte probieren, wie sehr sich das Format der Oper verkleinern lässt", erklärt Marton. Das Ergebnis dieses Experiments war die räumliche Größe einer Loge. "Eigentlich wollte ich das so klein halten, dass nur für einen Zuschauer Platz ist", fügt er noch an - doch das hätte vielleicht beklemmend gewirkt. Und so sitzt man jetzt also höchstens zu dritt in der Bude, die innen überhaupt nicht mehr wie eine Bude aussieht; sondern wie die stattliche Loge eines alten Opernhauses: roter Samt, barock gedrechselte Stühle und das warm-gelbe Licht alter Kristalllüster.
Und hier wird nun eine Kunstform durch das Miniaturformat plötzlich unmittelbar, die in ihrer gewohnten Ausführung eher im Bereich der Überwältigung und des Übermaßes operiert. Und Paul Brodys Klanginstallation fängt diesen Moment des Intimwerdens wunderbar auf: Opernsänger, die über ihre ersten bewussten Erfahrungen mit ihrer Stimme plaudern - die meisten dieser Sängern fangen dann prompt an, Kinderlieder zu singen - nicht erzwungen, mehr als klangliches Beispiel für ihre Anekdoten. Abends wird dann auch live gesungen in der Opernbude. Jeweils eine Stunde vor regulärem Theaterbeginn präsentieren Schauspieler des Ensembles fünfminütige Performances - sie singen oder interpretieren bekannte Arien, während Marton sie an einem kleinen Casio-Keyboard begleitet (ebenfalls so eine Größenverschiebung, diesmal auf musikalischer Ebene). Dann, von 20.30 Uhr an, gibt es Splitter, Szenen und Augenblicke aus Henry Purcells Barockoper "Dido und Aeneas": Dabei widmeten sich Künstler wie Kevin Barz, Damien Rebgetz oder Clara Hinterberger verschiedenen Aspekten dieser Oper.
Doch es wird vorerst das letzte Mal sein, dass sich David Marton an den Kammerspielen der Kunstform Oper widmen wird. Ein Jahr lang durfte er den Titel "Direktor des kammerspieleigenen Opernhauses" tragen - doch dieses Haus im Haus ist nun für ihn vorbei: "Man hätte das über ganz lange Zeit anlegen müssen", sagt er, oder eben einfach für ein Jahr, wie es jetzt der Fall war. Sich von Spielzeit zu Spielzeit damit weiterzuhangeln, erscheint ihm - in dem eben auch in gewisser Weise recht anspruchsvollen Format Oper - nicht sinnvoll. Deshalb steht in der kommenden Spielzeit an den Kammerspielen für ihn ein James-Joyce-Projekt an.
Opernbude , täglich von 14.30 Uhr an, Charlottenhof, Zugang über Maximilianstraße 26, Anmeldung für die Dido-Variationen (Eintritt 3 Euro), täglich von 20.30 Uhr an, per E-Mail an opernhaus@kammerspiele.de