Süddeutsche Zeitung

Theater in Israel:"Neid auf Länder wie Deutschland"

Israels Kulturinstitutionen sind chronisch pleite. Ein Gericht in Tel Aviv musste nun entscheiden, ob das Nationaltheater geschlossen wird. Es kann seine Schulden nicht bezahlen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Das Drama spielte sich im Gerichtssaal ab. Die Grande Dame des Schauspiels in Israel, Gila Almagor, erhob ihre Stimme: "Wollen Sie, dass wir rausgehen und um Geld betteln? Ich bin seit 63 Jahren Schauspielerin und kann mich an keinen Tag wie diesen erinnern." Almagor verteidigte in diesem Prozess das Theater Habima, Israels Nationaltheater. Gläubiger hatten im September einen Antrag auf Einstellung des Spielbetriebs gestellt. Darüber wurde diese Woche in Tel Aviv vor Gericht verhandelt.

Umgerechnet mehr als 22 Millionen Euro Schulden soll das Haus angehäuft haben. Es könnten aber auch 25 Millionen sein, meinte die vom Finanz- und Kulturministerium bestellte Sachverständige Hagit Georgi. Die Theaterleitung gewährte erst kurz vor Prozessbeginn einen Einblick in Abrechnungen - aber auch nur in jene bis September.

Nach zwei Verhandlungstagen fällte das Gericht ein Urteil: Das Theater mit seinen 400 Mitarbeitern wird nicht geschlossen. Aber die seit 2007 amtierende Generaldirektorin Odelia Friedman wurde abgesetzt und Verwalter eingesetzt, die sich um die Finanzen kümmern werden. Nun hoffen die Theaterleute, dass das Kulturministerium zugesagte Gelder auszahlt, sodass zumindest ausstehende Gehälter gezahlt werden können.

Es ist nicht zum ersten Mal, dass das Nationaltheater im Herzen Tel Avivs mit dramatischen finanziellen Problemen zu kämpfen hat, und schon früher drohte die Schließung. 1995 ermöglichte die Regierung die Fortsetzung des Spielbetriebs durch eine Finanzspritze - allerdings als Kredit mit einem Zinssatz von zwölf Prozent. Bis 2012 wurden drei Rettungspläne entworfen, aber das Management schaffte es nicht, die Bedingungen für weitere Hilfen zu erfüllen. Zuletzt verschärfte sich die Krise: Mitarbeiter und Lieferanten klagen über seit Monate ausstehende Gehälter und Zahlungen, Steuern und Sozialversicherungskosten wurden nicht bezahlt, Kosten für Aufführungsrechte wurden nicht beglichen und nicht gedeckte Schecks ausgestellt.

"Die meisten Orchester in Israel stehen am Rande der Pleite."

Edna Harel-Fisher, die für Kulturfinanzierung zuständige Expertin beim israelischen Demokratieinstitut, sieht mehrere Gründe für die Krise: "Die Kreditkonditionen waren hart, vielleicht zu hart für eine Kulturinstitution. Die Rückzahlungen wurden gestreckt, aber sie haben es dennoch nicht geschafft. Man kann jedoch auch die Qualität des Managements infrage stellen." Auch der staatliche Kontrolleur, der wie der Rechnungshof in Deutschland staatliche Einrichtungen und Förderungen unter die Lupe nimmt, kritisierte bereits 2016 das Habima-Management scharf: für seine Finanzverwaltung, aber auch wegen der künstlerischen Qualität.

Mit sechs Millionen Euro erhielt Habima im Vorjahr mit Abstand die höchste Fördersumme, die vom Ministerium an ein Theater bezahlt wurde. Darin enthalten sind 1,75 Millionen Euro "Sonderzahlung wegen finanzieller Probleme". In Summe ist das mehr als doppelt so viel, wie das ebenfalls renommierte Hakameri-Theater in Tel Aviv bekam. Wie hoch der Anteil der Förderung am Budget von Theatern in Israel ist, lässt sich nach Angaben von Expertin Harel-Fisher schwer sagen, weil die Stadtverwaltungen ebenfalls Gelder zur Verfügung stellen.

Der Staat Israel hat ein jährliches Kulturbudget von 250 Millionen Euro, das sind 0,28 Prozent des Gesamthaushalts. Welche Kulturinstitution wie gefördert wird, ergibt sich aus den Kriterien, die das Ministerium aufgestellt hat. Parameter sind etwa die Anzahl der Vorstellungen sowie Mitarbeiter und wie oft ein Ensemble außerhalb Gastauftritte hat. Qualitative Kriterien, die Harel-Fisher vor zwanzig Jahren als Ministeriumsberaterin durchsetzte, gibt es inzwischen nicht mehr. Kulturministerin Miri Regev vom rechtsnationalen Likud konnte auch ihr Bestreben, nur noch "loyale" Kultur zu fördern, vor der Auflösung der Regierung vor einem Jahr nicht mehr umsetzen.

Auch bei Orchestern richtet sich Fördersumme nach der Zahl der Auftritte. "Je aktiver ein Orchester ist, desto mehr bekommt es. Generell ist es so, dass nicht mehr als bis zu 35 Prozent des Budgets Förderungen sind", erklärt der Präsident der Gewerkschaft für Musiker, Daniel Gottfried: "Die meisten Orchester in Israel stehen am Rande der Pleite." Dabei seien die Gehälter für Musiker in Israel im internationalen Vergleich gering. "Das Basisgehalt ist nicht mehr als umgerechnet 1300 Euro." Die Ausnahme seien die Israelischen Philharmoniker: "Das ist das Nationalorchester. Die Gehälter sind mehr als doppelt so hoch für die Musiker. Sie können mehr Einnahmen generieren und haben auch Sponsoren."

Auch Museen sind auf Sponsoren und Schenkungen angewiesen. Das Tel Aviv Museum for Art unterstützt auch in Deutschland ein Freundeskreis. Der Verein hat sich finanziell an der Errichtung des Neubaus beteiligt und die vollständigen Kosten für die nun Deutsche Galerie genannten Räume aus Spendengeldern finanziert. "Verglichen mit Westeuropa ist die finanzielle Situation der Kulturinstitutionen in Israel viel schwieriger. Da blickt man schon mit Neid auf Länder wie Deutschland", meint Gottfried.

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SZ vom 06.12.2019
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