Theater im Auto:Und irgendwann beschlagen die Scheiben

Rollendes Theater in einem wunderschönen alten "Citroën Déesse": zwei Schauspieler agieren auf den Vordersitzen, drei Zuschauer passen auf die Rückbank - und eine Stadt ist die Bühne. Tom Stromberg und Stefan Pucher touren mit dieser Miniperformance durch Deutrschland - wir saßen im Fond.

SONJA ZEKRI

Die Stadt als Bühne, das sagt sich so leicht. Und wenn sie es wirklich wäre? Nicht hölzerne Giebel vor der Brandmauer, sondern die echten, regenglänzenden, nachtschwarzen Straßen Berlins? Die Stadt als Bühne, das ist die wichtigste Idee in Stefan Puchers Inszenierung der einstündigen Miniatur "What are you afraid of?" von Richard Dresser.

Theater im Auto: Blick von der Innen-Bühne auf die Außen-Bühne: Es ist eine höchst intime Seherfahrung auf dieser Rückbank, und dass man nicht einfach aufstehen und gehen kann, steigert das Ganze fast ins Klaustrophobische.

Blick von der Innen-Bühne auf die Außen-Bühne: Es ist eine höchst intime Seherfahrung auf dieser Rückbank, und dass man nicht einfach aufstehen und gehen kann, steigert das Ganze fast ins Klaustrophobische.

Dafür schickt Pucher ein Auto, eine 25 Jahre alte Citroën Déesse, mit zwei Schauspielern auf den Vordersitzen und drei Zuschauern auf der Rückbank auf eine Tour durch Berlin - eine Expedition zu den Rändern der Theaterlandschaft. Es ist ein wenig bekanntes Berlin, durch das die Reise geht, nicht die Stadt des Trash-Glamours, sondern jene des Plattenbau- und Shopping-Mall-Gigantismus, der Einfamilienhaus-Tristesse, die irgendwann ins Ländliche übergeht, wo die Straßen nur noch Nummern haben.

Ein Mann (Sebastian Schwab) fährt durch diese Stadt, allein und schlecht gelaunt, bis er auf der Straße eine Frau sieht, eine Anhalterin (Lisa-Marie Janke). Sie steigt zu, ein Wortwechsel - und plötzlich ist alles möglich. "Ich könnte dein schlimmster Albtraum sein", sagt er. "Und ich deiner", entgegnet sie. Es geht ein bisschen hin und her, sie kommen sich näher, er hält auf einem Feldweg, und irgendwann beschlagen die Scheiben. Aber da weiß man schon: Der echte, der David-Lynch-hafte Albtraum ist die Stadt selbst, wo ein Mann in Frauenkleidern am Straßenrand steht und ein anderer auf seinen Hund eindrischt, wo Menschentrauben dieses riesige blaue Auto anstarren und die Zuschauer darin zurückstarren und die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit, zwischen Schauspielern, Statisten und Zuschauern verschwimmen.

Drinnen und draußen werden relative Begriffe, wenn man durch diese Stadt gleitet. Es ist eine höchst intime Seherfahrung auf dieser Rückbank, und dass man nicht einfach aufstehen und gehen kann, steigert das Ganze fast ins Klaustrophobische.

"Wovor hast du eigentlich Angst?", diese Frage stellt nicht nur die junge Frau dem einsamen Fahrer, der nach der schnellen Nummer auf dem Feldweg sagt, es habe ihn "erwischt", aber von Liebe nicht sprechen will. Auch in der zweiten Szene vor einem Drive-Inn führt eine Frau einen Mann mit dieser Frage vor: Als der schwer genervte Familienvater den Wagen abwürgt und sie den Motor mit zwei Handgriffen wieder flottkriegt. Dass Männer ebenso große Schwierigkeiten haben, kleine Schwächen zu zeigen - oder große Gefühle - , ist nun nicht ganz neu im Theater. Dieser Abend aber ist es.

Puchers Inszenierung wird nach Berlin noch in sieben weiteren deutschen Städten zu sehen sein. Es ist die erste eigene Produktion des gewesenen Intendanten des Hamburger Schauspielhauses, Tom Stromberg, der das Stück nach Jahren als Hamburger Geheimtipp nun mit Hilfe eines Sponsors auf Tour schickt. Und es gehört zur Logik der Exklusivität, dass die Karten nur über den Sponsor, eine französische Zigarettenmarke, oder über die Tagespresse zu bekommen sind.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: