Theater:Höhö

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"Der nackte Wahnsinn" schaut bei Martin Kušej sehr nach den Achtzigern aus. Dass die Figuren mal sitzen, ist selten. Von links: Genija Rykova, Thomas Loibl, Till Firit und Sophie von Kessel. (Foto: Matthias Horn)

Martin Kušej verabschiedet sich vom Münchner Residenztheater erstaunlicherweise mit einer Komödie. Doch "Der nackte Wahnsinn" bietet außer 80er-Klischees nur viel Klamauk - und leider wenig Humor.

Von Christine Dössel

Als der liebe Gott den Humor verteilte, hat der Regisseur Martin Kušej verpasst, "Hier!" zu rufen. Das ist jetzt keine Kritiker-Häme. Witze dieser Art reißen selbst Spezln und enge Mitarbeiter des gestrengen Kärntner Theatermachers. Wer Kušejs Arbeiten kennt, seine Auslotung kalter, düsterer Bilderwelten, würde ohnehin kein heiteres Gemüt oder einen Spaßfreund dahinter vermuten. Kušej versteht sich auf das theatrale Fracking großer, dunkler Stoffe, die Komödie (oder sagen wir durchaus auch: das Kleine-Feine) ist eher nicht so sein Metier.

Trotzdem - oder gerade deshalb - hat sich der scheidende Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels und künftige Direktor des Wiener Burgtheaters für seine letzte Inszenierung am Münchner Residenztheater eine Komödie vorgenommen: Michael Frayns Bühnenrenner "Der nackte Wahnsinn". Es ist die rasende Tür-auf-Tür-zu-Boulevardkomödie par excellence. Wobei die Farce aus dem Jahr 1982 stammt, und das merkt man ihr auch an. Inhaltlich darf man da nicht mehr erwarten als eine rasante Abfolge von Pannen, Pech und Pleiten in einem Theaterzusammenhang. Gezeigt wird ein Stück im Stück und das turbulente Making-of dieses Stücks. Es trägt den Titel "Nackte Tatsachen" und ist so miserabel, wie es klingt.

Erster Akt: die Generalprobe dieses Tourneetheaterstücks einen Tag vor der Premiere. Zu sehen sind schlechte Schauspieler und ein Regisseur am Rande des Nervenzusammenbruchs. Zweiter Akt: eine Aufführung des Stücks einen Monat später in der Provinz (hier: Kaufbeuren), allerdings von der Hinterbühne aus erzählt, wo die Schauspieler zwischen ihren Auftritten sich wahlweise küssen oder kabbeln. Großes, axtschwingendes Backstage-Theater. Glut, Schweiß und Tränen. Dritter Akt: die letzte Vorstellung der inzwischen komplett heruntergerockten Inszenierung. Wo der Schauspieler aufhört und seine Figur anfängt, ist nicht mehr klar auszumachen. Das Leben ist vollends auf die schiefe Theaterbahn geraten. Ein Debakel.

Eine Szenerie zwischen "Y.M.C.A" und "Dallas"

Annette Murschetz hat für das permanente Tür-auf-Tür-zu, Treppauf-Treppab ein naturalistisch-spaßfunktionales Bühnenbild gebaut: ein Wohnzimmer mit roter Sofalandschaft, schlechter Kunst und dem Möchtegern-Chic der Achtziger. Auch von hinten tut es seine Wirkung. Zwischen den Akten singen die Village People "Y.M.C.A.", und die Kostümbildnerin Heide Kastler orientiert sich optisch-ästhetisch an der US-Serie "Dallas".

Wer dachte, der Berserker Kušej würde das Stück radikalisieren und dabei sich selbst und sein Theater(dasein) knallhart ironisieren: Fehlanzeige! Die paar Anspielungen, die er macht - auf sich und München -, sind harmlos. Zwar heißt Frayns gestresster Regisseur hier nicht Lloyd Dallas, sondern tatsächlich "Martin K.", aber Norman Hacker (mit Intellektuellenbrille und Mackermiene) belässt es bei ein paar alphamännlichen Gesten, um den wahren Martin Kušej, der als Choleriker gilt, zu karikieren. Böse ist das nicht. Sarkastisch-komisch auch nicht. Mit einem Bein ist Hackers "Martin K." bereits in Wien, wo er "Richard III." inszeniert.

Keine Abrechnung also. Es geht wirklich nur um den schnellen Spaß. Um Komödientechnik, Turbo-Abfolgen, Timing. Als wollte Kušej zum Schluss seiner Intendanz sich selbst und uns allen schnell noch beweisen: Schaut her, ich kann es doch! Diese Komödie ist mein Abschiedsgeschenk an mich und euch. Zum Dank dürft ihr euch alle mal so richtig schön schlapplachen.

Das haben einige bei der Premiere dann auch wirklich getan. Mehrheitlich war die Freude groß, es wurde viel gegickelt, und am Ende gab es begeisterten Applaus.

Das Hosenruntergelasse ist inzwischen ein bisschen ranzig

Aber mit dem Humor ist das so eine Sache. Auch er entgeht nicht gewissen Alters- und Abnutzungserscheinungen, und wenn "Der nackte Wahnsinn" in schnödester Achtzigerjahre-Anmutung flotterdings nur so vom Blatt gespielt wird, ohne Aktualisierung und Radikalisierung, ist das allem Wahnwitz zum Trotz nicht jedermanns Tasse Tee. Frayns Farce hat, so perfekt gebaut sie ist, Patina angesetzt. Die Seitensprung- und Verwechslungsscherze, die Geschlechterklischees, das Hosenruntergelasse, selbst der Running Gag mit den Sardinen - das ist inzwischen alles ein bisschen ranzig und kommt altbacken rüber, wenn man es witzgetreu so übernimmt.

Ganz schlimm ist das Frauenbild, das auch nicht damit zu entschuldigen ist, dass man sagt: Hey, Leute, das Stück spielt doch mit Klischees und außerdem in den Achtzigern! Das blonde Dummchen zum Flachlegen gehört hier genauso zum Komödienstammpersonal wie die kleine, devote Regieassistentin, die vom Regisseur schwanger und wahnsinnig eifersüchtig auf ihn ist, weil der Kerl natürlich alle Frauen haben kann und auf jeden Fall etwas mit der jungen Schauspielerin hat, die in Frayns Stück im Stück das naive Betthäschen Vicki spielt. Diese Vicki wird vom Autor Frayn in einer Regieanweisung wie folgt beschrieben: "Sie ist ein begehrenswertes Objekt von Anfang zwanzig, gut gebaut und in jeder Hinsicht tiptop." Kein Witz.

So doof diese Rolle ist, so komödiantisch groß ist darin Genija Rykowa, die ihr Unbehagen daran mitschwingen lässt. Sie macht (und hat) eine sehr gute Figur in diesem Tohuwabohu theatralischer Eitelkeiten. Ihr pinkfarbenes Tussi-Teil muss sie bald ablegen, um fortan in schwarzer Unterwäsche zu agieren und sexy zu posieren. Dass das nicht billig wirkt, ist eine Leistung. Rykowa hat als dauergewellte blonde Rollensklavin das Potenzial für eine Leidensfigur. Genau daran fehlt es diesem Abend weitgehend: an dem Schmerz dahinter, an diesem waidwunden Gefühl von Traurigkeit, Nacktheit, existenzieller und ökonomischer Abhängigkeit.

Um bei den Frauen zu bleiben: Katharina Pichler fegt mit wahrer Weibswucht durch die Chose. Sie hat das Zeug einer Löwin und schaut auch so aus. Im Chaos des dritten Akts, wenn Türklinken abbrechen, Requisiten fehlen und den Schauspielern die Vorstellung total entgleitet, ist sie es, die mit komischer Restwürde krampfhaft versucht, Logik und Sinnzusammenhänge einigermaßen aufrecht zu erhalten.

Nora Buzalka hat die undankbare Rolle der leisetreterischen Regieassistentin, am Ende mit Schwangerenbauch. Und die schöne Sophie von Kessel wurde mit einem künstlichen Hängebusen und falschen Zähnen extra entstellt, damit sie in ihrem Kittelschürzen-Look noch mehr dem "Original von einer Haushälterin" (Regieanweisung Frayn) entspricht. Sie spielt ihre Sardinen mampfende "Frau Klacker" entsprechend derb und breitbeinig, um im letzten Akt alkoholisiert doch noch einigen Komödienfuror zu entwickeln, durch den Whisky wie befreit.

Viel Stereotypenkomik auch bei den Männern. Till Firit ist der blond gelockte Makler, Typ aufstrebender Agenturfritze, der das Haus, das er verkaufen soll, zu einem Schäferstündchen nutzen will. Er wähnt die Immobilie genauso leer wie deren Besitzer, der hier Franz Xaver Hötz heißt (in Anspielung auf den Dichter Franz Xaver Kroetz, höhö) und als Steuerflüchtling vermeintlich auf Teneriffa weilt. Thomas Loibl macht als Hötz mit seinem dicken Schnauzer auf Tom Selleck, nur ist er beileibe nicht so Magnum-cool. Im Gegenteil: Loibl gibt mit weinerlicher Stimme den Waschlappen und Alleshinterfrager, der sich manch eine Schramme holt. Des weiteren wirbeln mit: ein Einbrecher (Paul Wolff-Plottegg) und ein patenter Inspizient, Einspringer für alles (Arthur Klemt).

Handwerklich und sportiv klappt das alles tadellos, auch wenn die Inszenierung braucht, um in Schwung zu kommen. Nur leider verwechselt Kušej Komik zu oft mit Klamauk. Seine Krönung zum King of Comedy ist dieser Abschied nicht.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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