Theater:Herrengedeck

AMPHITRYON von Heinrich von Kleist  PREMIERE 11. MAI 2019,  THALIA THEATER // Zur aktuellen Berichterstattung honorarfrei.

Hauptsache den Männern macht’s Spaß: Sebastian Zimmler (links) und der neue Träger des Iffland-Ringes Jens Harzer.

(Foto: Armin Smailovic)

Leander Haußmann inszeniert in Hamburg Kleists "Amphitryon". Es ist ein Stück über weibliche Unterwerfung und männliche Wünsche, das durch Gags allein nicht zu retten ist.

Von Till Briegleb

Wäre es keine Majestätsbeleidigung gegen Kleist, Molière und Plautus, dann müsste man sagen, dass "Amphitryon" ein ziemlich zweckloses Stück ist. Da steigt Jupiter, der doch auch nur ein bisschen Liebe will, herab vom Olymp, erscheint Thebens Schönheit Alkmene als Klon ihres Mannes und erlaubt sich mit ihr im Bett "jede Freiheit, die dem Gemahl zugestehen mag über mich", wie Alkmene später gegenüber dem echten Gatten Amphitryon erklärt - der begreiflicherweise von "ihrer" Liebesnacht nichts weiß. Zeus und sein ihn begleitender Sohn Merkur, der sich als recht brutaler Schläger in Amphitryons Diener Sosias verwandelt, weiden sich daraufhin extrem lange am beschämenden Verwechslungsspiel und der explodierenden menschlichen Eifersucht, um schließlich als Entschädigung für das Gefühlsdrama dem Feldherren zu offenbaren, dass seine Frau von Jupiter den Herkules empfangen wird. Und der findet das auch noch toll. Ist das nicht, bei allem Respekt vor der hohen Dichterschar, ein ziemlicher Quatsch?

Kleists Drama - das er 1803 als eine Übersetzung Molières begann, der es wiederum in Anlehnung an Plautus verfasst hatte, welcher seine Quelle vermutlich bei Hesiod fand - mag Betrachtern allerdings weniger albern als vielmehr unschön vorkommen, die den Text nach Gesichtspunkten der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau beurteilen. Denn bei aller Sprachkunst des Autors, die natürlich vor den Damenrollen nicht haltmacht, ist das zentrale Thema des "Weibes" in diesem Stück doch einzig die Unterwerfung unter männliche Wünsche. Wenn die Frauen es nicht gerade als ihre Pflicht ansehen, den Herren der Schöpfung "göttliche Erlebnisse" im Bett zu bescheren, machen sie sich klein, werfen sich in den Staub, zermürben sich über Zweifel an ihrer Keuschheit, und schweigen, wenn der Mann es befiehlt. Und am Ende muss die Herrin dankbar sein, dass sie das Kind einer faktischen Vergewaltigung austragen darf.

Unsere Gegenwart ist mit ihren Argumenten weiter als Kleist und Haußmann

"Ach", ist das letzte Wort dieses Dramas, geseufzt von Alkmene. "Bravo", denkt man sarkastisch beim Zuschauen. Mehr Männerfantasie geht wirklich nicht. Welchen Zweck kann ein Theater damit verfolgen, dieses Manifest einer Harvey-Weinstein-Denke heute auf die Bühne zu bringen?

Leander Haußmanns Antwort auf diese Frage ist fast erwartbar: Ironisierung der Zustände als komödiantische Kritik an fest gefügten Herrschaftsverhältnissen. Seine Männer sind Eitelkeitsmonster, seine Frauen frech im Widerspruch, jedenfalls anfänglich, seine Erzählung eine Interpretationsverweigerung zum Zweck der guten Unterhaltung. Und dafür hat er mit Jens Harzer und Sebastian Zimmler auf der Herrenseite zwei gelenkige Verausgaber, die ihre Doppelrollen aus Betrüger und Betrogenem, aus Gott und Mensch, als pralle Harlekinaden geben.

Jens Harzer, der neue Träger des Iffland-Rings, also der subjektiven Auszeichnung als bester Schauspieler seiner Zeit durch seinen Vorgänger Bruno Ganz, mischt in seine Darstellung des gehörnten Gatten Amphitryon verschiedene Vorbilder des weichen Mannes zusammen. Mal wirkt er wie der langhaarige Kauz aus einer Provinz-Rockband, die Deep Purple nachspielt, mal wie Helge Schneider in seiner fröhlichen Schlurfigkeit, wenn er den verunsicherten monogamen Mann darstellt. Als promisker Obergott stolziert er dagegen wie ein Pornoproduzent der Siebziger herum oder lustvoll effeminiert wie eine Dragqueen. Sein Begleiter Sebastian Zimmler wechselt die Seiten des Selbstbewusstseins vom Türsteher-Hochmut zum Quasimodo mit Knickfuß, wenn er den arroganten Götterboten und Sekunden später den gescheuchten Kurier des Thebaner-Feldherren extrem lustvoll ausagiert.

Die Damen haben - der Textbotschaft gemäß - gegenüber diesem komödiantischen Hahnenstolz nichts zu melden. Marina Galic gibt die totale Unterwerfung des weiblichen Willens unter männliche Vorstellungen zunächst wie eine zu Recht empörte Hausfrau, die sich in ihrer Pflichtschuldigkeit beleidigt fühlt, verwandelt sich dann aber mehr zu einer sich selbst geißelnden Nonnenfigur. Und Zofe Antonia Bill entfaltet ihre Launen aus dem schmalen Lebenswunsch, doch einfach mal begehrt zu werden. So richtig eine Haltung zu modernen Geschlechterrollen ergibt diese Demut als Lebenszweck leider nicht. Das Glück der Frauen ist hier definitiv drittrangig. Der Lärm, den männliche Götter und Gatten um ihre sexuellen "Rechte" machen, ist einfach zu groß - und Rechte werden hier außerdem gerne mit einem Satz heißer Ohrfeigen durchgesetzt.

So kann sich das ganze Lustspiel nach den Regeln des Patriarchats hier als geschmeidige Versteifung der Verhältnisse entfalten. Wobei das im Kern doch eher noch Verhältnisse aus einer Zeit sind, als Frauen nicht wählen durften und Korsetts trugen. Denn eigentlich ist unsere Gegenwart in vielen Bereichen schon ein bisschen weiter mit ihren Argumenten und Beziehungen als Kleist und Haußmann, sodass diese Komik des kultivierten Sexismus nicht einmal eine Lehrstunde für irgendwas Relevantes abgeben könnte. Als abschreckendes Beispiel ist der ganze Aufzug zu genüsslich auf Zustimmung und Applaus poliert, als Farce zu wenig gemein. Was soll dieses Stück in dieser Regie der tollen Schauspielkunst ohne Haltung zum Thema? Hoffnung bleibt allein für den post-dramatischen Fortgang. Vielleicht wird von Alkmene ja eine Herkuline geboren, die mit dem ganzen Herrenschmock aufräumt. Schön wär's.

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