Thalia-Theater Hamburg:Unter dem Strand liegt das Pflaster

KRUM. EIN STÜCK MIT ZWEI HOCHZEITEN UND ZWEI BEGRÄBNISSEN

Im ewigen Urlaub: Szene aus "Krum".

(Foto: Armin Smailovic)

Hanoch Levins "Krum" am Hamburger Thalia-Theater: eine Komödie über die Tragik, ein unkomisches Leben führen zu müssen.

Von Till Briegleb

Nähme man den Menschen ihre Handys weg, bekäme man wahrscheinlich bald eine Stimmung wie bei "Krum". Eine zähe Langeweile gepaart mit der Unlust, die eigene Antriebslosigkeit ernsthaft zu überwinden. Dann säßen sie rum und wüssten eigentlich nur noch, was sie nicht wollen. Beziehung, Essen, Trinken, Fernweh: Damit langweilten sich die Menschen gegenseitig, selbst wenn sie an einem Strand mit Sonnenuntergang beisammen hockten. Zu allem fehlte ihnen etwas. Und das rächte sich mit chronischer Unzufriedenheit und der Verweigerung von Anerkennung.

So jedenfalls sieht die Welt aus bei Hanoch Levin, der sein Stück "Krum" 1975 schrieb, zu einer Zeit also, als Digitalmedienabhängigkeit noch nicht mal in Science-Fiction-Romanen erfunden war. Jetzt erlebte das Nachbarschaftsstück des in Israel berühmten und in Europa kaum bekannten Autors und Regisseurs über "zwei Hochzeiten und zwei Begräbnisse" im Hamburger Thalia-Theater sehr spät seine deutsche Erstaufführung. Es ist eine Komödie über die Tragik, ein unkomisches Leben führen zu müssen. Krum, die Hauptfigur, hat zwar noch eine Idee vom Anderssein. Aber die ist es, einen großen Roman zu schreiben, für den seine Bekannten im Viertel den Stoff liefern sollen. Doch wo kein Stoff, da auch kein Roman. Und weil das von Anfang an klar war, ist Krums Anderssein nur eine etwas arrogantere Form von Selbsttäuschung.

Der schweigende Mann mit der Kühlbox trifft als einziger eine Entscheidung - oder doch nicht?

Hört sich wahnsinnig langweilig an, ist es aber nicht. Denn Levins ironischer Ton, sein liebevoller Blick auf die hohe Duldungsfähigkeit von Menschen, die den Status eines Lebens ohne bedrohliche Veränderungen anstreben, ergibt eine feine Satire der Eintönigkeit ­- die nicht eintönig ist. Und die Verlegung der Szenerie von einem renovierungsbedürftigen Wohngebiet an einen Sandstrand mit Findling, den Stéphane Laimé für Regisseur Kornél Mundruczó entworfen hat, gibt dem Urlaub von allen Ansprüchen, den diese Normalbürger als Lebensstil pflegen, ein sehr passendes Bild. Monotone Strandferien ohne Digital-Demenz. Das führt zu strittigen Szenen, in denen der Traum vom Ende der Ereignislosigkeit jeweils doch kurz mal aufscheint.

Es ist ein Humor des sinnlosen Tadels, den Levin mit seinen kurzen Szenen über die braven Bürger erfindet. Was soll man auch sagen zu einer Mutter, die von ihrem Sohn energisch Aufmerksamkeiten und einen Enkel einfordert, obwohl sie doch allein mit ihrem Fernseher zufrieden ist? Über junge unattraktive Menschen, die einfach nur heiraten wollen, und Krankheiten erfinden, um Aufmerksamkeit zu erheischen? Oder über ein Paar alter Schnapsdrosseln, dessen einziges Thema das Lästern über das Essen auf Hochzeiten in der Nachbarschaft ist? Es braucht Schauspielerinnen und Schauspieler, die Komik aus armseligen Figuren herauskitzeln können, ohne deren Würde zu verraten. Davon gibt es am Thalia Theater zum Glück einige. Und der Film- und Theaterregisseur Mundruczó weiß sie mit Blick auf wechselnde Licht- und Wetterstimmungen am Meer sehr kino-gerecht einzusetzen. Obwohl alle nur schwarze Badeklamotten tragen, und manche manchmal auch gar nichts mehr.

In diesem Volksstrand-Tschechow mit Gummisandalen (Kostüme: Sophie Klenk-Wulff) ist Ole Lagerpusch das traurige Arschloch Krum. Ein 38 Jahre alter Jugendlicher, der alle spüren lässt, wer der einzig Besondere in der tristen Gegend ist. Diese ziemlich hohle Version eines James Dean im Hoodie quält die hübsche Truda mit fiesen Spitzen über ihre Gewöhnlichkeit sowie mit Zu- und Absagen ihrer Hochzeit. Maja Schöne kontert in ihrem Spiel diese dauernde Demütigung mit einem bewundernswert trotzigen Kampf um Selbstachtung, der aber dennoch beim Ersatzmann, dem lustig polternden Einfaltspinsel Tachtich (Bernd Grawert) unglücklich und schwanger endet.

Wirkliche Nebenfiguren gibt es unter diesen elf Sitzengebliebenen der Ambition eigentlich nicht. Karin Neuhäuser und Oda Thormeyer sind als unzufriedenes Ehepaar Dolce und Felicia für die Abteilung "Fressen, Saufen, Nachbarschaftsklatsch" zuständig und erfüllen diese asoziale Aufgabe mit derben Anzüglichkeiten und Spott bravourös. Der eingebildete Kranke Tugati, der leider genau dann an einem Hirntumor stirbt, als er mit seiner Leidenssimulation am Ziel war und geheiratet hatte, erfährt bei Stefan Stern die durchaus komische Verdünnung von Charakter ins Jämmerliche. Und die schweigende Rolle des Silenti (alle Namen haben eine charaktertypische Bedeutung) ist bei Tim Porath wunderbar aufgehoben, wie er mit Kühlbox und schäumenden Bierdosen immer dabei ist, ohne jemals wirklich teilzuhaben. Aber am Ende als einziger eine Entscheidung trifft: wegzugehen aus dieser Langeweile. Oder doch nicht?

Kornél Mundruczó, der zuletzt mit seinem Film "Pieces of a Woman" mit Vanessa Kirby, die dafür den Darstellerinnen-Preis beim Filmfest Venedig gewann, international für Aufmerksamkeit sorgte, ist mit diesem Theaterstück ein stiller Triumph des Humors gelungen. Sein komisches Porträt einer stillstehenden Miniaturgesellschaft ist so bewegt inszeniert, dass es nie die Sehnsucht nach einem Blick aufs Handy erzeugt.

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