Theater:Gruß von der anderen Seite

Theater: In einer hochsexualisierten Welt wollen Henrike Iglesias und ihre Darstellerinnen Sprachlosigkeit und Scham hinter sich lassen.

In einer hochsexualisierten Welt wollen Henrike Iglesias und ihre Darstellerinnen Sprachlosigkeit und Scham hinter sich lassen.

(Foto: Paula Reissig)

Feminismus der ebenso ulkigen wie unmissverständlichen Art: Henrike Iglesias in den Kammerspielen

Von Egbert Tholl

Ähnlich wie bei einer bestimmten Gattung von Filmen gibt es hier einen wertvollen Hinweis vorab. Die Aufführung von "Oh my" ist nur für Volljährige empfohlen. Actionfilme, die nicht mindestens ab 16 sind, schaut man sich gar nicht erst an; eine Performance, die sozusagen das Label FSK 18 trägt, verspricht allerhand. Und ja, einiges von diesem Versprechen wird beim Gastspiel im Werkraum gehalten.

Das Autorinnen- und Performerinnenkollektiv Henrike Iglesias gründete sich 2012 in Hildesheim und besteht aus Anna Fries, Laura Naumann, Marielle Schavan und Sophia Schroth. Für ihre Performance "Oh my" brauchen sie noch drei weitere Damen, Malu Peeters kümmert sich um Musik und Sound, Eva G. Alonso ums Licht und Mascha Mihoa Bischoff um die Kostüme. Alles also bestens in weiblicher Hand, ein Umstand, den man nicht erwähnen würde, wäre es umgekehrt. Also rein männlich. Männlichkeit spielt hier zwar auch eine Rolle, aber nur eine sehr mittelbare. Denn es geht um weibliche Sexualität, um Prägungen, Normen und die Frage, wie genau eigentlich eine Klitoris ausschaut.

Der Abend beginnt mit einem sehr klugen Einfall. Das Publikum setzt Kopfhörer auf, und ganz nah ist einem dann eine weibliche Stimme, die einer unsichtbaren Zuschauerin, die ihre Gefühle und Vorahnungen beschreibt, welche man sich als Zuschauer ohne Weiteres zu eigen machen kann. Die Stimme steuert auch das Interesse, zum Beispiel an anderen Zuschauern, die man vorsichtig beäugen könnte. Die Stimme spricht von den Oberschenkeln der Person neben einem, diese, die ja dasselbe hört, zieht unwillkürlich ihren Rocksaum so tief hinunter wie möglich. Dann kommen die vier Performerinnen in metaerotischen Plastikkostümen auf die Bühne, erinnern an spazieren gehende Badvorleger oder wirken gut abwaschbar und erklären ihr verheißungsvolles Unterfangen: Sie werden jetzt 13 Pornoclips drehen, von denen sich dann keiner als Porno im engeren Sinn erweist. Der erste heißt "Die gefesselte Hausfrau", und die der vier, bei der es am meisten zu umwickeln gibt, wird in Frischhaltefolie eingepackt.

Es folgt ein multiples Spiel mit Pornoklischees, ein bisserl davon wird gefilmt und projiziert, auf der Bühne steht ein großer Würfel wie aus Daunendecken, darin passieren einige der sensationellen Dreharbeiten. Die Vernichtung männlich determinierter Pornovorstellung ist letztlich leicht, deshalb gehen die vier auch weit darüber hinaus und machen sich lieber auf die Suche nach einem von Schuld und Scham befreiten, sexuellen Selbstverständnis in einer sexualisierten Welt.

Nicht jede Nummer ist dabei geistreich, aber einige sind brillant. Etwa der Gedanke, sich beim Sex immer selbst zu beobachten, bedingt natürlich auch durch ein oktroyiertes Bild wie super Sex zu sein hat. Da haben dann sozusagen zwei Sex, die Akteurin und die Beobachterin in ihrem Kopf, und ein Glück wäre es, fänden sie zusammen. Währenddessen bereitet sich die Vagina von Marielle Schavan auf Singen vor. Dazu muss sie sich nackt vor die Kamera eines Laptops setzen, man hört Adele "Hello from the other side" und sieht in der Live-Projektion, wie sich die Vagina zur Musik bewegt, als würde sie singen. Lippensynchron. Aber irgendwie versonnen selbstbewusst. Eine Vagina kann schon sehr eigenständig sein.

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