Theater:Grunzen für Deutschland

Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer

Gleichbleibend hohes Gewaltlevel: Szene aus Bertolt Brechts "Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer", inszeniert von Oliver Frljic.

(Foto: JU)

Skandalöse Realität: Oliver Frljić inszeniert Brechts "Fatzer" in Köln.

Von Cornelia Fiedler

Oft wird Oliver Frljić "Skandalregisseur" genannt. Dabei liegt der Skandal nicht darin, dass am Schauspiel Köln Menschen grunzend und dreckig, auf allen Vieren in einen Pferch getrieben werden und dort zum Abschluss des Abends "Deutschland, Deutschland über alles" intonieren. Der Skandal ist, das AfD-Politiker diese erste Strophe des Deutschlandlieds öffentlich singen, wie unlängst im bayerischen Greding. Solche Überschreitungen gehören zur Taktik der Rechten. Sie wollen die Grenzen des Sagbaren verschieben und dann die des politisch Umsetzbaren. Frljić dagegen tut, was ein politisch denkender Künstler tut. Er legt in provozierender Deutlichkeit offen, wo eine Gesellschaft versagt. Immer wieder. Bertolt Brechts "Untergang des Egoisten Johann Fatzer" liefert dafür bestes Material.

Ein unerwartet leises, traurig ironisches Bild eröffnet den Abend: Zwölf weiße Lazarett-Betten stehen inmitten brauner Erde (Bühne: Igor Pauška). Aus dem Off erklingt Joan Baez' berührende Version von "Sag mir wo die Blumen sind", alle Strophen, in aller Ruhe. Ein Soldat in feldgrauer Uniform liegt wie tot auf dem Bett. Die anderen wässern mit Gießkannen den Boden, als wollten sie die toten Blumen, Mädchen, Männer und Soldaten nachwachsen lassen. Hilft nichts, also gehen sie schlafen.

Die Ruhe ist natürlich trügerisch. Blitze und Kanonendonner scheuchen die sieben Männer und Frauen auf. Sie fallen, in einer Mischung aus Drill und Slapstick zu Boden, rollen unter die Betten, robben, salutieren, brüllen "Deutschland über alles", die Liedzeile des Abends, und schieben acht Betten zu einem improvisierten Schützenpanzer zusammen. Eine Nation macht mobil. Frljić hat Erfahrung mit nationalen Aufbrüchen. Angriffe und Todesdrohungen von kroatischen Rechtsextremisten zwangen ihn 2016 als Intendant des Nationaltheaters Rijeka zurückzutreten.

Sie wässern den Boden, als sollten die toten Mädchen und Blumen nachwachsen. Vergeblich.

Das Brecht-Fragment über eine Gruppe von Deserteuren, die während des ersten Weltkriegs in einem Keller auf Frieden wartet und hofft, dass die ausgebeuteten, im Krieg verheizten Massen doch noch den Sozialismus erkämpfen, ist voller Brüche. Anfangs ist alles klar: Die Schauspielerin Hannah Müller erklärt die Lage leicht genervt und mit kluger Vehemenz anhand einer Landkarte, auf der die deutsche Frontlinie mit eine Kette aus Würstchen markiert ist. Der wahre Feind sei "die Bourgeoisie" hinter den Linien, logisch, nicht der Proletarier auf der gegnerischen Seite.

Dass sie das sehr lautstark tut, ist konsequent. "Schreit" ist eine der häufigsten Regieanweisungen in der Textfassung, die der Dramatiker Heiner Müller 1978 aus den 400 Seiten "Fatzer"-Material im Nachlass Brechts kompiliert hat. Entsprechend roh und gewaltsam sind auch die Formulierungen. Brecht hat keine psychologisch stimmige Sprache entwickelt, sondern die Wort gewordene Kaputtheit von Menschen, die das Töten gelernt haben.

Diese Brutalisierung übertragen Frljić und seine Dramaturgin Sarah Lorenz auf die Spielweise. Das Gewaltlevel ist gleichbleibend hoch, allerdings kann sich die Inszenierung dadurch auch nicht mehr steigern. Wenn schon die Nahrungssuche der Deserteure als symbolische Schlachtung eines Kameraden dargestellt wird, dann erschüttert es wenig, dass am Ende nicht die Freiheit für alle steht, sondern die Selbstzerfleischung der Gruppe und die Ermordung des Anführers Fatzer.

Die Blut, Schweiß- und Dreck-Ästhetik wirkt fast altmodisch. Selbstzweck um der Provokation Willen ist sie aber ebenso wenig, wie die berüchtigte Waterboarding-Szene in Frljićs Inszenierung "Balkan macht frei" 2015 am Münchner Residenztheater. Der Skandal ist schließlich die Realität, aus sie Szene. Etwas überdeutlich macht das in "Fatzer" noch einmal Benjamin Höppner. Er unterbricht das Spiel und hält einen Wutmonolog über Deutschland, das seinen Frieden und Wohlstand sichert, indem es "den Krieg nach außen trägt".

Fatzers gefährliche Alleingänge, der Pragmatismus seines Genossen Koch, die Stumpfheit der Bevölkerung, die ekelhafte Idee der Deserteure, die Frau, die ihnen Zuflucht gewährt, als Prostituierte arbeiten zu lassen - all das führt Frljić nicht als individuelle Taten vor. Die Rollen wechseln, jedes Handeln wird zum Symptom einer Gesellschaft, die auf Krieg, Nationalismus und Ausbeutung programmiert ist. Hier geht nicht der alte Egoist Johann Fatzer unter mit seiner Utopie von einer solidarischen neuen Welt, sondern der heutige Egoist Mensch.

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