Süddeutsche Zeitung

Theater:Glück in hysterischen Zeiten

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Spielzeitausklang in Frankfurt mit "Peer Gynt", "Siddhartha" und einem Skandal, der keiner war.

Von Jürgen Berger

Theater will Schlagzeilen. Eine Möglichkeit dazu sind Klassiker-Inszenierungen, die einen Nerv der Zeit treffen. Am Frankfurter Schauspiel ist man am Ende der zweiten Spielzeit unter dem Intendanten Anselm Weber diesen Weg gegangen - mit Henrik Ibsens Selbstfindungsträumer Peer Gynt und Hermann Hesses Glückssucher Siddhartha. Beide begeben sich auf eine Reise zu sich selbst, die allerdings in Sackgassen enden kann. Sie brechen mittellos auf und suchen Spiritualität, häufen Reichtum an und stürzen ab. Am Ende hält nur einer den Schlüssel zu einem sinnvollen Leben in der Hand.

Und dies ist nicht Ibsens Peer, dieser Nestflüchter und Geschichtenerzähler, der für die Zeitgeistkrankheit "Verantwortungslosigkeit" stehen kann. Andreas Kriegenburg, ein in Bildern denkender Regisseur, gibt dem Ganzen dann eine extravagante Wendung. Anstatt in den Tropen zu träumen, er sei der Kaiser der Welt, dämmert Peer Gynt in einem Psychiatriezimmer dem Tod entgegen. Die Wahrheit am Ende seines Weges ist eine fürchterliche. Aus dem Weltumsegler ist ein Menschenwrack geworden. Die einst geliebte Solveig (Sarah Grunert) sitzt wie eine selig lächelnde Stalkerin auf der Bettkante, während Mutter Aase (Katharina Linder) am Fußende nicht versteht, dass ihr Sohn niemals der sein wird, der er ihrer Ansicht nach hätte sein sollen.

Bei Kriegenburg führt Gynts Flucht in den größtmöglichen Selbstgenuss, in die Psychiatrie. Peer Gynt bereist die ganze Welt, übersieht aber die Selbstüberforderung dabei. Vergleichbare Symptome heute: Das Ringen um Authentizität, Wahrhaftigkeit und politische Korrektheit. Endstation Burn-out. Kriegenburg geht es durchaus um den ichsüchtigen Schwadroneur Gynt, aber eben auch um die Zwanghaftigkeit heutiger Selbstoptimierer. Damit das aktuell wirkt, hat er improvisierten Text in die Inszenierung geschmuggelt und einen Gynt-Vater (Sebastian Reiß), der zwischen E-Zigarette und Flachmann wechselt.

Max Simonischek als Gynt ist ein Charmeur und Kraftprotz

Das setzt ganz im Sinne Ibsens die Zersetzungstendenz im Kern der bürgerlichen Familie fort, wie man es unter anderem aus "Nora oder Ein Puppenheim" kennt. Und es passt, dass Kriegenburg sich vorne an der Bühnenrampe eine Psychiatrie-Box bauen ließ. Die versinkt allerdings nach einer knappen Stunde und gibt den Blick frei auf den großen Frankfurter Bühnenraum, aus dem Harald B. Thor einen monumental morastigen Bretterwald gemacht hat. Hier ist Max Simonischek nicht mehr der albträumende Leidens-Gynt aus der Psychiatrie, sondern ein freudig erregter junger Mann. Simonischek kann ein Charmeur und Kraftprotz sein. Irrt er als Don Juan und Sklavenhändler durch die Welt, kommt es zu kleinen Kammerspielen, etwa wenn der zwischenzeitlich reiche Peer an der marokkanischen Küste vier europäische Kolonialherren bewirtet und die Männer auf langen Holzplanken schweben.

Das sind schöne equilibristische Kunststücke, aber auch nur Zutaten einer Paraphrase, mit der Kriegenburg nach der beeindruckenden Psychiatrie-Eröffnung die Weltreise Peer Gynts bebildert. Im weiteren Verlauf des knapp fünfstündigen Abends taucht das klinische Gynt-Gefängnis nur noch sporadisch aus der Versenkung auf, ansonsten setzt Kriegenburg auf überwältigende Bilder.

Immerhin: Sein Auftritt in Frankfurt kam ganz ohne jene Schlagzeilen aus, die in diesen Tagen einen Skandal beleuchten wollten, der nie einer war. Es ging um Aischylos' "Perser", eine mit den Salzburger Festspielen koproduzierte Inszenierung des Regisseurs und Bühnenbildners Ulrich Rasche. Rasche macht Klassiker auf ganz neue Weise hörbar und ist nicht zuletzt deshalb so gefragt, weil er monumentale Texte auch monumental inszeniert: auf großen Drehscheiben und Laufbändern. In Frankfurt kam dazu, dass er die Solorollen mit Gästen besetzte und den Mitgliedern des Frankfurter Ensembles Rollen im Chor gab. Das sorgte für Missmut. Als Intendant Anselm Weber dann auch noch überaus rau auf Rasche reagierte, der angeblich die Qualität des Frankfurter Ensembles in Zweifel gezogen haben soll, hörte sich das so an, als könnte tatsächlich ein Skandal daraus werden. Schließlich warf der Intendant dem Regisseur Machtmissbrauch vor. Da Anselm Weber aber keinen Beleg für diesen schweren Vorwurf lieferte, fielen die Skandal-Vorwürfe schnell in sich zusammen.

Jana Schulz changiert als Siddharta zwishcen den Geshclechtern - das ist es aber auch schon

Inzwischen spricht niemand mehr darüber, während der Intendant sich am Grünen-Chef Robert Habeck orientiert: Er schweigt auf allen Kanälen und sucht wohl seine Mitte. Es sieht so aus, als gehe es ihm wie dem Brahmanensohn aus dem fernen Indien, der in jungen Jahren eher widerspenstig die Lehren des Hinduismus und Buddhismus zur Kenntnis nimmt, als gereifter Mann aber doch bei sich selbst ankommt. Hermann Hesses "Siddhartha" war schon immer eine Vorlage für westliche Sinnsucher und ist im Moment deshalb so aktuell, weil in der Coming-of-Age-Legende die Möglichkeit aufscheint, wie das mit dem glücklichen Leben in einer disparaten und hysterischen Zeit doch was werden könnte. Die Zauberworte heißen: Ruhe, Gelassenheit, Demut und das Streben nach innerer Leere.

Siddhartha bricht aus dem Elternhaus aus, kommt nach vielen Um- und Holzwegen bei einem Fährmann an und findet Erleuchtung. Die Regisseurin Lisa Nielebock erstellte eine auf das Wesentliche reduzierte Bühnenfassung der Vorlage, inszenierte auf einer nach hinten verengten Bühne und ließ Jana Schulz genügend Raum, dass sie wie ein zwischen den Geschlechtern changierendes Menschenwesen alle Gefühls- und Reflexionslagen des Siddhartha auskosten kann. Das war es aber auch schon. Anders als Andreas Kriegenburg, der zuerst einen Bezug zu heutigen Lebenswelten herstellte und dann den Lebensweg des Peer Gynt sinnlich bebilderte, strebte Lisa Nielebock eine Adaption von Hesses "Siddharta" an, inszenierte dann aber lediglich eine unsinnliche Nacherzählung.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2019
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