Theater-Giganten im Interview:Komm mal, ich zeig dir die Sterne!

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Männersache: Regisseur Peter Stein und sein Hauptdarsteller Klaus Maria Brandauer über ihre Arbeit an Schillers "Wallenstein".

Interview: Christine Dössel

Eine großräumige Suite im Berliner Regent Hotel. Klaus Maria Brandauer hängt nach neun Stunden Probe matt in den Seilen. So müde und zurückgenommen trifft man ihn selten. Er hat sich auf Vorschlag der Kostümbildnerin einen Fünf-Tage-Bart wachsen lassen, das gibt ihm einen verwegenen Anstrich.

Klaus Maria Brandauer (Foto: Foto: ddp)

Sein Gast am Tisch - neuerdings ohne Bart - ist Peter Stein, Regisseur, Hauptfinanzier und Bauherr des Großunternehmens "Wallenstein". Für seine Inszenierung der Schillerschen Tragödie hat er in Kooperation mit dem Berliner Ensemble die leerstehende Kindl-Halle in Berlin-Neukölln in ein Theater mit Restauration umgebaut. Am 19. Mai ist Premiere: "Wallensteins Lager", "Die Piccolomini", "Wallensteins Tod" - alle drei Teile an einem Tag. Zehn Stunden Theater. Stein erfüllt sich damit nach seinem 21-Stunden-"Faust" (2000) einen weiteren Regietraum. Vielleicht ist er deshalb so aufgeräumt und freundlich.

SZ: Herr Brandauer, Sie spielen den kaiserlichen Generalissimus Wallenstein. Haben Sie überhaupt gedient?

Klaus Maria Brandauer: Ich bin Doppelstaatsbürger, bin aber durch glückliche Umstände weder in Österreich noch in Deutschland zur Musterung gekommen. Mit Militär kann ich nicht dienen.

SZ: Sonst je mit dem Krieg in Berührung gekommen?

Brandauer: Ich bin 1992 auf eigene Faust mit einer Ladung Medikamente ins Kriegsgebiet von Sarajewo gefahren. Dazu habe ich mir einen Anzug angezogen, wie ich ihn bei den Dreharbeiten zu "Wolfsblut" in Alaska trug, sozusagen ein paramilitärisches Outfit. Mein Schwager gab mir sogar eine Pistole mit. Die habe ich dann aber während der Fahrt ausgesondert. Weil ich Angst hatte, dass man eine Waffe auch benutzt, wenn man eine dabei hat.

SZ: Nie geschossen?

Brandauer: Ein einziges Mal, in der kleinen Jagd meines Schwiegervaters. Ein schöner Blattschuss. Das war der Anfang und das Ende meiner Jägerkarriere.

SZ: Aber Sie als Preuße, Herr Stein, Sie waren doch sicher beim Bund?

Peter Stein: Nein, auch nicht. Ich gehörte zum ersten Jahrgang, der 1956 eingezogen wurde. Bei der Musterung stellte ich mich dumm, aber offensichtlich nicht dumm genug, sodass ich ganz normal eingestuft wurde. Als ich das Stammbuch abholen sollte, kam ich total dreckverschmiert. Weil ich schon immer leidenschaftlich gern Motoren auseinander gebaut habe - ich wollte Ingenieur werden. Ich wurde dann sofort von meinen Mitrekruten isoliert und über meine Pläne und Vorstellungen befragt. Am Ende hieß es: Sie studieren wohl besser.

SZ: Und damit waren Sie draußen?

Stein: Nie wieder was gehört. So jemanden wie mich wollten die nicht drin haben in ihrem Laden. Aber ein Reh geschossen habe ich auch mal. Irgend ein adliger Vetter hatte mich mitgenommen. Dann hat's puff gemacht - gab 'nen Riesenkrach, weil das Viech wegsprang. Aber getroffen war es, und ich habe das Dings bekommen, wie nennt man das?

Brandauer: Das Geweih, "das Griagal". Ich habe meins auch noch zuhause.

Stein: Mir war es peinlich. Sie sehen: Wir beide sind totale Flaschen.

SZ: Jetzt machen Sie gemeinsam den "Wallenstein", ein Stück, in dem sich alles um Militär, Soldatentum und Kriegspolitik dreht. Ein totales Männerding.

Stein: Männerding schon. Aber das Militär im preußischen Sinne gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Es ist eine Konsequenz des Dreißigjährigen Krieges, dass Preußen überhaupt imstande war, so ein mächtiger Militärstaat zu werden. Als Schiller das Stück an Iffland geschickt hat, damit er es in Berlin zur Aufführung bringt, hat sich der Iffland in einem Brief gewunden wie ein Aal. Der wollte das Stück unbedingt haben, aber "Wallensteins Lager", schrieb er, könne man in Berlin nicht aufführen, unmöglich. Weil das kein ordentliches Heer ist, sondern ein militärischer Sauhaufen. Und ausgerechnet dieses Stück, das man in Preußen damals nicht spielen konnte, wurde dann, vor allem mit diesem Schlusslied: "Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd . . .!", ein Fanal und das Lieblingslied für die Expanisonsgelüste des Kaiserreiches bis hin zu den Nazis.

SZ: Und heute? Was fangen wir heute mit diesem Stück an?

Stein: Es herrscht Krieg. Der Krieg ist die Normalität, aber er stellt sich nicht als Leiden und Schrecken dar, sondern er ist die Folie, auf der alles spielt: das politische und wirtschaftliche System. Und darin ist Wallenstein der Ober-Ober-Manager. Das lässt sich heute viel einfacher auf Vorgänge aus der Großwirtschaft beziehen als auf Militärisches. Das sind alles Geschäftsleute, die investiert haben und ihre Gelder wiederhaben wollen, bevor es etwas werden kann mit dem Frieden. Wallenstein redet von einer europäischen Friedensordnung. In Wirklichkeit will er die böhmische Krone - was allerhand ist, wenn man weiß, dass Prag österreichisches Kernland ist. Wenn er Prag haben will, dann will er die Hälfte vom kaiserlichen Territorialbesitz.

SZ: Herr Brandauer, wer ist dieser Wallenstein für Sie - ein Manager?

Peter Stein (Foto: Foto: ap)

Brandauer: Ich habe nichts gegen diese Wirtschaftsvergleiche, der Bezug ist da. Aber ich begreife ihn schon auch als jemanden, der neben seinem Handwerk, das des Krieges, noch ganz andere Seiten und Begabungen hat. Solche Leute kenne ich selber, ganz hohe Kapitäne aus der Wirtschaft, die sich am Abend nach dem Geschäft und dem Smalltalk an die Orgel oder in ihre Bibliothek setzen und ganz melancholisch werden oder fast ein bisschen lebensmüde und darüber sinnieren, dass sie vielleicht etwas ganz anderes werden wollten. Der Wallenstein hat unglaublich viele Öffnungen und Facetten. Aber unverkennbar wäre er gerne wer. Ja, er wäre gern wer.

SZ: Aber er ist ja schon einer.

Brandauer: Er hat sich hochgekämpft. Er ist ja kein geborener Adeliger.

Stein: Adelig schon. Niederer Adel.

Brandauer: Er will so weit hinauf wie möglich. Wallenstein war unvorstellbar reich, und er hatte ungeheuer viel Macht. Da fragt man sich auch: Wie kam er dazu? Jemand, der so zaudert und so viele hamletische Züge hat . . ..

Stein: Hamlet ist jung. Er sagt: Ich will mich in dieses dreckige Leben nicht einmischen. Wallenstein aber hat sich voll eingemischt und sich dabei die Hände auch richtig schmutzig gemacht. Aber dennoch: Er ist kein Draufgänger, sondern er versucht stets, sämtliche Optionen für sich offenzuhalten. Er ist einer, der erst mal abwartet und die anderen kommen lässt.

Brandauer: Ich habe das Gefühl, dass er weiß: Mit mir geht's nicht gut aus. Ein großer Militär zu sein, macht ihm Freude im Sinne von Macht, Gewinn, Vermögen. Aber er hat's nicht leicht, und irgendwas raunt ihm ständig ins Ohr: Hör zu, wenn du dies und jenes machst, dann könnte dies und das passieren . . .

SZ: Wie erklären Sie sich, dass dieser Machtmensch in dem Moment, wo es ihm an den Kragen geht, so zögert?

Stein: In seinem Metier ist Wallenstein ausgesprochen fähig, ein Riesentalent. Nun kommt es darauf an: Was macht einer mit seinen Fähigkeiten? Er kann natürlich das Gleiche immerfort weiter betreiben. Oder etwas Neues machen: große Entscheidungen treffen. Um die handelt es sich hier. Schlachten planen kann er, das ist Pipifax. Aber er hat sich ein Ziel gesetzt: die Krone. Und er will sich jetzt als Staatsmann bewähren, nicht nur als Militär. Das ist der Punkt: Das Zögern beginnt dort, wo er über sich selber hinaus will.

Brandauer: Im Grunde läuft alles auf eines hinaus: Er spielt. Er ist ein Spieler.

SZ: Ist er Ihnen sympathisch?

Brandauer: Das ist ja wohl selbstverständlich. Ich möchte, dass der verstanden wird. Das Wunderbare bei Schiller ist, dass er keine einzige Figur verurteilt.

Stein: Wallenstein ist einer, der sich permanent selber befragt und erforscht, deswegen ist er sympathisch. Er ist zwar völlig rational und antireligiös, aber Schiller gibt ihm trotzdem eine Religion: die Astrologie. Das heißt für ihn nicht einfach nur Horoskope lesen, sondern zu wissen, dass das Leben etwas Geheimnisvolles ist. Das lässt er sich auch nicht nehmen. Alles geht schief, alle sagen ihm: Die Sterne haben gelogen. Nein, ruft er trotzig: "Die Sterne lügen nicht!" Da breche ich immer in Tränen aus. Wie sagt er? "Das aber ist geschehen wider Sternenlauf und Schicksal . . ."

Brandauer: "Die Kunst ist redlich, doch dies falsche Herz / Bringt Lug und Trug in den wahrhaftgen Himmel."

Stein: Das ist so genial! Er verteidigt seinen Sternenglauben wider alle Logik, das macht ihn extrem sympathisch. Weil wir das von uns selber kennen: Ich lasse mir meinen Glauben nicht rauben!

SZ: Eine tödliche Schwäche, dieser Glaube an die Astrologie . . .

Stein: Aber auch eine Stärke, weil es die Figur abrundet. Sonst wäre es kein Mensch, sondern eine Maschine. Schiller ist an die Figur herangegangen wie ein Mechaniker an ein Uhrwerk. Er wollte ihn einstellen. Er hat gemerkt, dass ihm der Wallenstein aufgrund der Tatsache, dass alle ständig über ihn reden, zu sympathisch geraten ist. Deswegen hat er noch ein paar Szenen eingebaut, die ihn unsympathisch machen, so dass sein Bild schwankt - nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Meinung des Publikums. Aber wenn der Kollege Brandauer das gut spielt, dann wird er einen zwangsläufig auf seine Seite ziehen.

SZ: Sie arbeiten zum ersten Mal mit Klaus Maria Brandauer. Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Stein: Luc Bondy hat ihn mir vorgeschlagen. Für mich war Brandauer überhaupt keine Option, der ist mir nie untergekommen. Ich habe mich bereits 1970 vom Stadttheater gelöst und an der Schaubühne meine eigene Sache gemacht. Ich war in einem vollkommen geschlossenen System mit einer kleinen Gruppe von Schauspielern. Brandauer kommt aus einer ganz anderen Ecke. Als ich ihn traf, wurde mir klar, was für eine Chance hier besteht. Es ist gut, dass er ein Österreicher und ein Schauspieler alter Schule ist, den braucht man für den Wallenstein, so wie ich ihn machen will.

SZ: Sie haben ja beide Probleme mit dem modernen Regietheater. Ist das jetzt die ideale Konstellation für Sie?

Stein: Ideal ist ein großes Wort. Aber ich habe festgestellt, und zwar ruckizucki, dass wir sehr viele Gemeinsamkeiten haben, unter anderem unsere praktische Arbeitserfahrung mit Fritz Kortner. Findest du nicht?

Brandauer: Absolut. Es ist einfach schön, mit jemandem zusammenzuarbeiten, mit dem man nicht ununterbrochen über die Sache reden muss, sondern sich in Kürze verständigen kann. Ich mag den Stein, und ich habe Respekt.

Stein: Wir reden relativ wenig. Reden ist immer ganz schlecht.

Brandauer: Wir probieren die Dinge aus, und zwar anhand des Textes.

Stein: Es ist erstaunlich, aber ich habe bei der Arbeit sogar das Gefühl, wir ähneln uns. Da ist so was Brüderliches.

SZ: Dabei sind Sie zwei sehr unterschiedliche Temperamente: der gestrenge Preuße und der barocke Steirer. Beide nicht uneitel. Kracht es da nicht mal?

Stein: Er ist ein preußischer Steirer und ich bin . . .

Brandauer: . . . ein barocker Preuße. Ist doch wunderbar!

Stein: Theater geht anders. Ich habe mit äußerst eigensinnigen Leuten gearbeitet. Frau Clever ist alles andere als ein sanftes Früchtchen. Oder nehmen Sie Libgart Schwarz - mein lieber Freund! Es geht um das Interesse, diese Menschen zu betrachten. Das ist Theater. Es kracht nie zwischen mir und Schauspielern. Ich hatte nie Probleme mit Leuten, die sagen: Dein Konzept gefällt mir nicht. Konzeption in diesem Sinne gibt es nicht, denn die Vorschläge, die ich mache, sind völlig einleuchtend, banal und platt.

SZ: . . . und stehen alle so im Text.

Stein: Sie sind durch den Text zu belegen. Man kann mir natürlich sagen: Du bist feige, du versteckst dich dahinter. Mag sein. Aber weil ich nicht aus dem Theater, sondern von der Universität und von der Kunstbetrachtung komme, ist mein Ideal immer gewesen: Ich möchte ein Kunstwerk kennenlernen durch die Arbeit - in seinen tiefsten Falten, in seiner Struktur, seinem innersten Kern. Was ich mache, ist kein Bildertheater, kein Actiontheater, sondern Texttheater.

SZ: Sie inszenieren das Stück also mit Punkt und Komma und ohne Striche?

Stein: Striche gibt es schon, aber nur Binnenstriche. Dinge, die vom Verständnis her unwichtig sind und von Schiller selber für seine Hamburger Strichfassung entfernt wurden. Und einzelne Verszeilen, in denen zum fünften, sechsten Mal dasselbe gesagt wird. Von 7.00 Zeilen haben wir 700 bis 800 gestrichen.

SZ: Das schmerzt Sie, oder?

Stein: Zunächst nicht. Aber wenn ich dann inszeniere und sehe, wie die Schauspieler das sprechen, merke ich: Ach du lieber Gott, da fehlt tatsächlich was in der Linie . . . Inzwischen habe ich große Probleme mit einigen Strichen bekommen. Einige wurden wieder aufgemacht.

SZ: Warum wird "Wallenstein", anders als "Faust", so selten gespielt?

Stein: Das Stück ist unübersichtlich und schwer in den Griff zu kriegen, und die Materie ist viel trockener als die schweinische Liebesgeschichte zwischen Faust und Gretchen. Bis in die sechziger Jahre war "Wallenstein" ein Must im Repertoire. Das ist dann durch die 68er-Bewegung in Verschiss geraten, weil die - mit absolutem Recht - das Misstrauen gegen jede Form von Rhetorik und deren demagogischen Einsatz genährt hat. Heute versteht man "Wallenstein" besser denn je. Weil es unserer Erfahrung entspricht, dass jemand, obwohl er ein gigantischer Zampano ist, im Grunde nichts bewirken kann. Da wirken andere Kräfte: internationale Konzerne, Geld, das Großkapital. Wir haben ein tief sitzendes Verständnis für diese Art Sinnlosigkeit menschlicher Tätigkeit. Denken Sie an die Klimaerwärmung und all den Kram.

SZ: Darin steckt eine zutiefst pessimistische Sicht auf die Welt und ihren Lauf.

Stein: Das hat der Hegel ja verzweifelt festgestellt, dass das Stück eine Schweinerei ist, weil es gegen das Leben gerichtet sei. Am Ende: nur Tote und sonst gar nichts. Aber das ist nun mal so bei einer Tragödie. Und warum? Weil sie den Gegeneffekt bezweckt: Durch Furcht und Schrecken will sie eine Katharsis bewirken, die zur Lebensbejahung führt.

SZ: Herr Brandauer, tun Sie sich schwer mit Schillers Sprache?

Brandauer: Ich habe ja schon mehrere Schiller-Figuren gespielt, mit heißer Begeisterung. "Don Carlos" war mein Debüt am Burgtheater. Im "Wallenstein" ist die Sprache distanzierter. Beim Lernen habe ich mich so schwer getan wie noch nie. Ich glaube, in all meinen Filmrollen zusammen hatte ich nicht so viel Text. Aber erstaunlicherweise kann man diese Sprache ganz selbstverständlich sprechen, wenn man sie gut denkt.

Stein: Es ist eine gehobene Sprache. Aber sie ist an zentralen Stellen auch wahnsinnig umgangssprachlich. Diese Stelle zum Beispiel, wo er sagt: "Das Schöne ist doch weg, das kommt nicht wieder . . ." Ein zentraler Satz. Wallenstein will das Schöne bewahren, und er will heiter sein. Schiller schreibt im Prolog: "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst." Das hat der Goethe übrigens umgeändert: "Ernst ist das Leben, heiter sei die Kunst."

Brandauer: Ach so?

Stein: Ja, das nehme ich ihm wirklich übel! Schiller sagt: Heiter ist die Kunst. Mit "heiter" ist aber nicht gemeint, dass man dauernd kichert, sondern heiter ist eher so wie ein heiterer Himmel, also: wolkenlos. Abgehoben von den Notwendigkeiten. Das Reich der Notwendigkeit ist ernst und schrecklich. Aber die heitere Welt ist oben drüber, unabhängig und frei. Freiheit, Heiterkeit - das will ein Spieler wie Wallenstein. Deswegen will er nicht handeln. Damit er frei sein kann.

SZ: Adorno hat Schillers Sprache als powernd und protzig verdammt. Können Sie das nachvollziehen?

Stein: Selbstverständlich. Ich habe vor kurzem "Maria Stuart" wieder gelesen, da standen mir die Haare zu Berge. Den "Wallenstein" hat Schiller nach zehn Jahren Pause geschrieben. Er wollte nicht wieder so ein fürchterliches Zeug machen wie beim "Carlos", seinem vorherigen Stück, so was Idealistisches, Hochgeputschtes. Sondern er wollte Realismus. Er sagte: Ich habe mich niemals den Figuren gegenüber so kalt verhalten wie in dieser Sache und so heiß in der künstlerischen Ausgestaltung. Daher kommt es, dass sich die Sprache im "Wallenstein" ganz besonders dazu eignet, sie volkstümlich, klar und weitgehend heutig zu sprechen, ohne dass man sich in irgendwelche Höhen versteigt. Außer in den Momenten, in denen die Emotionen überschäumen. Und da muss man dann voll rein. Dazu braucht man einen Brandauer, denn der traut sich das.

SZ: Ohne Bammel?

Brandauer: Das ist natürlich keine gemähte Wiese . . . im Grunde sind das zweieinhalb große Theaterabende. Aber man muss sich mit aller Kraft hineinschmeißen. Dazu braucht man ein Klima, in dem man sich aufgehoben und liebend überschätzt fühlt. Man muss sich ein kindliches Gemüt bewahren können und sich auch mal verrennen dürfen. Und in dieser Situation befinde ich mich.

SZ: Was sagen die Sterne?

Brandauer: Da muss ich meinen Astrologen Seni erst noch befragen.

Stein: Wo ist die Cassiopeia? Würdest du sie finden am Himmel?

Brandauer: Die gibt's hier gar nicht.

Stein: Soll ich sie dir zeigen? Komm mal. Stein führt uns auf den Balkon hinaus, zeigt nach Norden, ortet den Polarstern, erklärt und deutet. Aber die Cassiopeia ist nicht zu sehen.

© SZ vom 5.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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