Süddeutsche Zeitung

Theater:Gespielter Twitter-Thread

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Unklar mit Ansage: Der künftige Volksbühnen-Chef Thorleifur Örn Arnarsson verlabert in "Im Irrgarten des Wissens" am Schauspiel Dortmund diverse Politthemen.

Von Alexander Menden

Am Ende dauert der Abend dann doch nur schlanke fünfeinviertel Stunden, obwohl sechs angekündigt waren. Es sind, das muss man allen lassen, die an "Im Irrgarten des Wissens" beteiligt sind, keine total erschöpfenden oder geduldzehrenden Stunden. Ziemlich viel ist passiert, es wurde getanzt, gesungen, erzählt, noch ein bisschen gesungen. Man hat ein durchaus sympathisches, über weite Strecken mit Glatzenkappen optisch nivelliertes Ensemble gesehen, das Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson hochmotiviert in diese Produktion geschickt hat.

Dass das Stück, erarbeitet mit Co-Autor Mikael Torfason und den Schauspielern, "unklar" werden würde, hatte der Isländer, der demnächst die Berliner Volksbühne übernimmt, ja bereits angekündigt - weil das die Gegenwart wahrhaftiger abbilde (SZ vom 24.5.). Darüber, ob das Theater die Welt abbilden kann oder sollte, lässt sich herrlich streiten. Was die Unklarheit angeht, hält Arnarsson jedenfalls Wort. Disparate Texte - von diversen Schöpfungsmythen bis zur Dortmunder Lokalgeschichte, von (einem selbstredend streng durchironisierten) Terry Pratchett bis zu Magda Goebbels' Abschiedsbrief - werden auf der Bühne des Schauspiels Dortmund zu einer Reihe dissoziierter Szenen, die genauso gut halb so lang oder doppelt so lang sein könnten, ohne etwas Substantielles zu verlieren oder hinzuzugewinnen. Die Anekdoten, welche die Darsteller im Laufe des Abends aus ihren Biografien zum Besten geben (sie mögen authentisch sein oder auch nicht) erinnern derweil vor allem daran, warum man an Schauspielern in der Regel vor allem dann interessiert ist, wenn sie so tun, als wären sie jemand anders.

Ein Theaterprodukt, das man als provokant empfinden kann, das aber Sehgewohnheiten nicht stört

Wer sich mit inszenatorischen Konventionen und eingeschliffenen Manierismen des deutschen Gegenwartstheaters druckbetanken lassen möchte, darf diesen "Irrgarten" jedenfalls nicht verpassen. Ganz stark vertreten sind etwa Selbstreferentialität und Uneigentlichkeit. Zum Beispiel, wenn der junge Kevin Wilke sich immer wieder vorstellt und - angeblich - über sich spricht und eine "Nummer mit der Erdbeere" ankündigt; oder wenn Marlena Keil die Mitspieler im Kasernenhofton auffordert, die Sicherheitsbestimmungen auf der Bühne einzuhalten und auf die "Vierte Wand" zu achten. Das nackige Theaterblutgeglitsche von Merle Wasmuth und Uwe Schmieder als Adam und Eva, die in einer Wanne über patriarchale Strukturen, Flüchtlinge und die "verfickte Orange in Amerika" parlieren, erinnert sicher nicht zufällig schon an Frank Castorfs Kartoffelsalatrutschorgien an Arnarssons künftiger Wirkungsstätte. Es ist nur weit weniger genau und deshalb beliebiger - so wie überhaupt der Abend mit seinen Greta-Thunberg-, NSU-, Obdachlosen- und sonstigen Politbezügen stellenweise dramatisch so stichhaltig anmutet wie ein gespielter Twitter-Thread.

Man muss sich die Highlights schon herauspicken, und es gibt sie durchaus: Der Einstieg mit einem sich steigernden, an einen neuseeländischen Haka der Maori erinnernden Genesis-Tanz hat etwas schön Archaisches. Merle Wasmuths Version von "Je ne regrette rien", bei der sie in einem die gesamte Bühnenbreite bedeckenden Kleid hochgezogen wird, auf dem dann die Projektion Babys im Uterus erscheint, liefert zumindest ein starkes Tableau. Interessantes halten auch die Installationen im Foyer und im übrigen Haus bereit, die man sich, während es auf der Bühne immer weitergeht, zwischendurch anzusehen ausdrücklich aufgefordert ist. Besonders eine Videoinstallation, bei der Ausschnitte aus dem Eröffnungstanz über sieben kleine Spiegel an die Wand reflektiert werden, entwickelt einen fast hypnotischen Sog.

Inhaltlich liefert Arnarsson über weite Strecken ein Theaterprodukt, das sein Mittelschichtpublikum als provokant empfinden kann, ohne je in Gefahr zu geraten, aus Sehgewohnheiten aufgeschreckt zu werden. Was dabei als absichtliche Überforderung daherkommt, erweckt meist nur den Eindruck mangelnder stofflicher und gedanklicher Selbstbeherrschung. Fast wie eine eingebaute Selbstkorrektur wirkt da der Stunden währende, stumme, mit zögernden Gesten durchsetzte innere Dauermonolog Frank Gensers, der sich an der Rampe, abgetrennt vom übrigen Bühnengeschehen vollzieht. Das ist sowohl ein beeindruckender Akt darstellerischer Disziplin als auch das am konsequentesten durchgearbeitete Symbol des Abends: Da kämpft einer einen einsamen Kampf, und mag am Ende doch nichts sagen, weil die anderen schon alles Sagbare verlabert und verläppert haben.

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Quelle:
SZ vom 28.05.2019
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