Süddeutsche Zeitung

Theater:Genies der Selbstvermarktung

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Ohne Mühen: Saisonstart im Berliner Ensemble und am Maxim-Gorki-Theater.

Von Peter Laudenbach

Am Berliner Maxim-Gorki-Theater beginnt die Spielzeit mit einer Mischung aus Dauerbaustelle, ideologisch hochgetunter Großsprecherei und offensiver Arbeitsverweigerung - also ausgesprochen berlintypisch. Weil die marode Bühnentechnik mit den noch aus den 1970er-Jahren stammenden Zügen bei laufendem Spielbetrieb instand gesetzt werden muss, steht vor dem Theater jetzt bis Ende kommenden Jahres als Ersatzspielstätte ein grauer Container für 200 Zuschauer. Seine Längsseite schmückt die Radical-Chic-Parole der Saison: "De-heimatize-it!" Was wohl diffus ideologiekritisch gemeint ist, bleibt in der schrulligen Sprachverfremdung eher sinnfrei, ein Insidersignal, das sich als Coolness-Demonstration selbst genügt. Andererseits soll der Container natürlich trotzdem eine Art Theater-Heimat werden. Also besingen dem Haus verbundene Künstler ihre neue Wirkungsstätte im Spielzeitheft als "das Symbol von Nichts" (Lola Arias), als "Asyl" (Oliver Frljić), als Ort, "um unsere Kehrseiten zu erforschen" (Yael Ronen).

Müllers Minidrama ist eher ein Scherzartikel als ein Theaterstück

Diese Lautsprecherlyrik steht in einem gewissen Kontrast zum bescheidenen Bühnengeschehen. Sebastian Nübling hat angeblich Heiner Müllers Minidrama "Herzstück" inszeniert, eher ein Scherzartikel am Rande der Selbstparodie als ein Theaterstück. Bei Müller macht ein Clown einem anderen eine vergebliche Liebeserklärung: "Darf ich Ihnen mein Herz zu Füssen legen?" Bei Nübling tanzen, toben, grimassieren sieben Clowns (Maryam Abu Khaled, Mazen Aljubbeh, Karim Daoud, Dominic Hartmann, Kenda Hmeidan, Vidina Popov, Elena Schmidt) in Halskrausen und knallbunten Ganzkörperstrampelanzügen ohne erkennbaren Bezug zu Müllers Zeilen über die Bühne. Ein Ballett mit Akkuschraubern ist vermutlich eine Hommage an die Bauarbeiter im Haupthaus. Der Aufbau eines immer wieder einstürzenden Gerüsts zieht sich endlos, ein Holzherz wird mit größtmöglichem Aufwand und vielen Stolperern hochgezogen. Auch so kann man die Zeit füllen. Heiner Müllers auf die Rückwand projizierter Stoiker-Stoßseufzer "Arbeiten und nicht verzweifeln" wird kalauernd umgedreht: "Verzweifeln und nicht arbeiten." Genau wie das Erklärschild vor einem dösend auf dem Boden liegenden Clown: "Artist at work." Arbeits- und Sinnverweigerung als irgendwie subversiv gemeinte Geste rennt in Berlin, der Stadt der Langschläfer und Abhänger, natürlich offen stehende Türen ein. Erst recht wenn ein manisch produzierender Theaterbetrieb keine Kosten und Mühen scheut, das forcierte Nichtstun zu feiern. Offenbar zappelt das Gorki-Theater zum Spielzeitauftakt in der Selbstreferenzfalle und verwechselt das mit einem wagemutigen Statement.

Auch ein paar Hundert Meter weiter, am Berliner Ensemble, spielt Theater zum Saisonstart mit sich selbst, diesmal unter Verwendung von Thomas Manns "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull". Krull begegnet uns als junger Stehgeiger auf der Vorderbühne (Marc Oliver Schulze), eine elegante Erscheinung im Frack. Er arbeitet sich mit seiner Violine durch die Triller, Hochgeschwindigkeitspirouetten und Verzierungen eines Vivaldi-Konzerts wie durch einen ausgiebigen Liebesakt mit sich selbst. Er tänzelt, er strahlt, er kostet die Töne mit Kennermiene aus und flirtet mit dem Publikum, als wolle er bei jedem Geigenstrich sagen: Bin ich nicht wunderbar? Die Show ist ein Bluff. Als der Virtuose der Selbstbezauberung zwischendurch die Geige absetzt, geht die Musik aus dem Off ungestört weiter. Dem Auftritt tut das keinen Abbruch, schließlich ist der Frackträger ein Lebenskünstler, dessen Kunst gerade darin besteht, ohne unnötige Arbeitsanstrengung bella figura zu machen.

Alexander Eisenach setzt den Auftritt des Geigers an den Beginn seiner "Felix Krull"-Inszenierung. In Manns Roman ist das Fake-Geigenspiel zur Verblüffung eines Kurkonzertorchesterpublikums eine Kindheitserinnerung, in der der erschöpfte Hochstapler schwelgt wie in einem Überbleibsel glücklicherer Tage. Bei Eisenach ist es fast schon der Kern seines Krull-Porträts, in dem die schillernde Lebenstheaterexistenz seines anmutigen Helden und das Theater, auf dem er sie jetzt noch einmal vorführt, ineinander kippen.

Eisenach macht sich nicht die Mühe, den Roman nachzuerzählen. Stattdessen variiert er in lose miteinander verknüpften Szenen das Motiv, das ihn interessiert: das soziale Leben als unverbindliches Rollenspiel, der Ego-Performer Krull als Genie der Selbstvermarktung. Der Hochstapler ist hier nicht wie bei Thomas Mann der anrüchige Verwandte des Künstlers, sondern der Vorläufer heutiger Karrieristen und Influencer, die den Narzissmus zum Beruf und ihr Selbstdarsteller-Ich zum Label machen. Das wird manchmal zum Haudrauf-Kabarett, wenn Krull als Youtuber für "Save the Planet"-Kaffeebecher wirbt oder als Hotelpage in Paris an der großen Welt schnuppert, während Sina Martens und Jonathan Kempf aus den Logen launige Knallchargenkommentare abfeuern. Aber dann beschleunigt Eisenach das Spiel: Wenn ohnehin alles Bluff und im Grunde egal ist, geht es im (Bühnen-)Leben zwar um nichts mehr, das aber mit Karacho. Also landen Krull und Co in ihrem Narrenschiff, einer Badewanne. Spätestens wenn Krull-Darsteller Schulze mit Goldhelm und goldenem Lendenschurz posiert und sich mit blauer Farbe bewerfen lässt, ist die Aufführung bei den Freuden eines Kindergeburtstags angekommen.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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