Süddeutsche Zeitung

Theater:Gegen die Wand

Jan Bosse inszeniert "Der Hauptmann von Köpenick" am Deutschen Theater in Berlin. Leider weiß das Stück nicht, ob es gefallen oder nur aggressiv sein will. Eine verpasste Chance.

Von Peter Laudenbach

Ein Mann läuft gegen eine Wand. Eigentlich ist es eher ein Männchen. Er humpelt, er ist schlecht anzogen, er kommt in der Welt offenbar nicht sehr gut zurecht. Aber er gibt nicht auf. Er stürmt immer weiter an gegen die Ordnung eines Systems, in dem es keinen Platz für ihn gibt. Vielleicht wird es ihn ja irgendwann aufnehmen. Dass er unbedingt durch die Tür will, dass er einen Pass und eine Arbeitserlaubnis und seinen Platz in der Ordnung der Bürokratie braucht, bedeutet nicht, dass er die Regeln akzeptiert. Er will nur irgendwie durchkommen.

Das Männchen ist der Schuster Voigt, ein entlassener Häftling. So beginnt am Deutschen Theater Berlin Jan Bosses Inszenierung eines etwas zu Unrecht verachteten Klassikers. "Der Hauptmann von Köpenick" von Carl Zuckmayer ist ein bemerkenswertes Werk. Das erste Bild der Inszenierung zeigt eine große Einsamkeit und eine ziemlich fürchterliche Sinnlosigkeit. Dass diese Szene so traurig ist, liegt auch an Milan Peschel. Er spielt den Häftling Voigt mit einer Härte, Lakonie und Deutlichkeit, die keine Sentimentalität aufkommen lässt. Die Verzweiflung der Figur ist nüchtern sachbezogen.

Aus der Wand, gegen die er anrennt, kommt dann nicht ein Ausweg, sondern ein Bühnenbild als Ahnung von einem Gefängnis. Auf Sperrholzplatten aufgezogene Fotos der Hochhäuser und Machtdemonstrationsbauten des neuen Berlins zeigen, dass die Wände, an denen Voigt zu Beginn des vorigen Jahrhunderts abgeprallt ist, heute etwas moderner aussehen, aber immer noch recht undurchdringlich sind. (Die Bühne hat, wie immer bei Bosse, Stéphane Laimé entworfen.) Das gerät etwas überdeutlich, aber als Bildreiz ist es wirkungsvoll.

In Berlin würde man sagen: Der Mann weiß, was Sache ist

Das Problem der Inszenierung ist, dass sie die Klarheit und Härte dieses Prologs nicht durchhält. Peschel als der aus der Haft entlassene Voigt agiert brutal sachlich. In Berlin würde man sagen: Der Mann weiß, was Sache ist. Und Sache ist, dass sein Leben seit seiner ersten Inhaftierung wegen einer Lappalie zerstört ist. Dass Peschel überzieht und die großen Hauptmann-von-Köpenick-Darsteller Heinz Rühmann und Harald Juhnke travestiert, nimmt der Härte seines Spiels nichts.

Leider bewegen sich die anderen Darsteller, bis auf die große Steffi Kühnert, nicht auf diesem Niveau. Bosses Regie macht sie eher zu Kabarettfiguren mit angeklebten Bäuchen und bizarrem Äußeren. Peschel als Sträfling Voigt ist als hass- und verzweiflungsgelenkter Outcast so ziemlich der Einzige, der nicht von der Bürokratie, dem Glauben an "Papiere" und den eigenen Ordnungshörigkeits-Lebenslügen deformiert wird. Was ja auch eine Aussage ist.

Die Versuche mittels der Protokolle aus dem Leben von Flaschensammlern und Obdachlosen aktuelle Verweise herzustellen, wirken etwas bemüht. Die Inszenierung weiß nicht, ob sie aggressiv und verstörend sein will - oder doch unbedingt gefallen möchte. Dieses Schwanken zwischen sehr gut gemachtem Wohlfühltheater und kurzen Impulsen von Aggression oder Traurigkeit ist bedauerlich. Noch bedauerlicher ist die verpasste Chance einer ehrlichen, also radikalen Inszenierung, die die Frage nach dem sozialen Ausschluss stellt - nach dem nicht erklärten, aber sehr effizienten Krieg der Reichen und der Bürokratie gegen die Deklassierten. Schade.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2017
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