Süddeutsche Zeitung

Theater:Etwas ganz Unberührbares

Der Autor Bernhard Setzwein hat ein Stück über die "Resl von Konnersreuth" geschrieben

Von Sabine Reithmaier

Fromme Mystikerin oder hysterische Schwindlerin - umstritten war Therese Neumann, bekannt als "Resl von Konnersreuth", immer. Daran ändert auch das neue Theaterstück von Bernhard Setzwein nichts, das die legendäre Gestalt facettenreich beleuchtet. "Resl unser" hat er es genannt - eine nette Anspielung auf die Vereinnahmung, die der stigmatisierten Bauernmagd von den unterschiedlichsten Seiten widerfahren ist.

Manche Gläubige verehren sie bereits wie eine Heilige, obwohl der Seligsprechungsprozess nicht abgeschlossen ist. Die Schneiderstochter (1898-1962) war nach einem Unfall im Jahr 1918 gelähmt, ein Jahr später erblindete sie auch noch. Die Gebrechen verschwanden, als ihr Vorbild Therese von Lisieux erst selig- und dann heiliggesprochen (1923 und 1925) wurde. Von 1926 an hatte Therese Neumann Visionen, jeden Freitag durchlitt sie in Trance die Passion Christi, blutete aus Malen an Händen, Füßen und in der Herzgegend. 34 Jahre nahm sie ihrer eigenen Aussage nach außer einer täglichen Hostie keine Nahrung zu sich.

"Eine heikle Angelegenheit also", sagt Setzwein. Er hat sich in den vergangenen Jahren darauf spezialisiert, Biografien zu dramatisieren. Er tut dies besonders gern für das Landestheater Oberpfalz, dem jüngsten aller bayerischen Landestheater, gegründet im Jahr 2010. Mit dessen Chef Till Rickelt hat der Chamer Schriftsteller bereits Johann Reichhart, den letzten Henker Bayerns in "3165 - Monologe eines Henkers" auf die Bühne gestellt oder in "Später Besuch. Dietrich Bonhoeffer redivivus" die Ermordung des Theologen verarbeitet. Rickelt übernahm auch im Vorjahr spontan die Regie in der Komödie "Lola Montez - die falsche Spanierin", als der eigentlich in Vilseck geplante Regisseur erkrankte. Wenig erstaunlich also, dass die beiden die Zusammenarbeit fortsetzen wollten, wieder mit einem regionalen Stoff.

Aber wer an der "Wunder-Resl" rüttelt, ist schnell als Ketzer verrufen, zumindest in der Oberpfalz. Das war schon Hugo von Hofmannsthal bewusst, als er 1928 den ersten Entwurf für ein Drehbuch über das Konnersreuther Mysterium schrieb und allzu offensichtliche Bezüge zu Therese Neumann aber vermeiden wollte. Anders als Regisseur Max Reinhardt, der für seine Idee, einen Stummfilm über "The Miracle Girl" (Arbeitstitel) zu drehen, bereits einen Hollywood-Produzenten gefunden hatte. Sogar die Hauptdarstellerin stand fest: Lillian Gish (1893-1993), einer der berühmtesten amerikanischen Stummfilmstars.

"Ich wusste sofort, das ist mein Aufhänger", sagt Bernhard Setzwein, den Tina Lorenz, damals Mitarbeiterin am Landestheater, auf diese Geschichte aufmerksam machte. In seiner Version reist Reinhardt gemeinsam mit Assistentin Gusti Adler und Lillian Gish nach Konnersreuth, während in Wirklichkeit die Schauspielerin 1928 den Ort allein aufgesucht hat, nach einem längeren Arbeitstreffen mit Hofmannsthal und Reinhardt in dessen Schloss Leopoldskron in Salzburg.

Lillian Gish erzählt davon in ihrer 1969 erschienenen Autobiografie. Die Schauspielerin stammt aus einem pietistisch geprägten Elternhaus, was ihre Sicht auf die Konnersreuther Phänomene beeinflusst haben dürfte. Dass sie zu der 29-jährigen Therese Neumann vorgelassen wurde, obwohl deren Familie und der alles entscheidende Pfarrer Joseph Naber anderen Filmleuten den Zutritt verwehrt hatten, findet Setzwein erstaunlich. Aber vielleicht hätten die Konnersreuther schon von Reinhardt, Hofmannsthal und deren "Jedermann"-Aufführung gehört, mit der die beiden 1920 die Salzburger Festspiele begründet hatten. "Sie dachten, Jedermann ist ein erzkatholisches Stück, daher werden die es schon richtig machen", interpretiert Setzwein kühn.

Gish jedenfalls erlebte an einem Freitag Resls visionäre Ekstasezustände mit und war fasziniert. "That's really a miracle", notierte sie und beschloss, in diesem Sinn auch an Hofmannsthal zu schreiben, um ihm klarzumachen, wie wichtig ein Film mit erkennbaren Bezüge sei.

Hugo von Hofmannsthal änderte seine negative Meinung nicht. Reinhardt sei in solchen Dingen "so unbefangen wie ein Nachtwandler", tadelte er den Freund in einem Brief im Dezember 1928. Schließlich handle es sich um ein Glaubensmysterium, etwas ganz Unberührbares. Wenn man dieses mit der "bedenklichen, ja fast dämonischen gerichteten Welt des Scheins", also mit Theater oder Film in Berührung setze, sei das ein Sakrileg. Und gefährlich, denn "wenn sich ein untergeordnetes Organ der katholischen Publicistik dieser Sache in missverständlicher oder hetzerischer Gesinnung bemächtigt, so könnte etwa der Regensburger Bischof sich leicht zu einem diesen Film verurteilten Hirtenbrief veranlasst sehen".

Um jeden Zweifel zu zerstreuen, arrangierte Hofmannsthal angeblich sogar ein Zeitungsinterview, in dem er bestritt, dass der Film überhaupt etwas mit Konnersreuth zu tun haben sollte. Dabei stand der Regensburger Bischof Anton von Henle dem "himmlischen Auskunftsbüro" (Henle) skeptisch gegenüber, genauso wie seine Nachfolger Michael Buchberger und Manfred Müller. Erst der umstrittene Gerhard Ludwig Müller setzte den Seligsprechungsprozess 2005 in Gang.

Es gab aber auch Intellektuelle, die sich von Therese Neumann begeistern ließen. Die katholische Schriftstellerin Luise Rinser zum Beispiel, die 1955 in "Die Wahrheit über Konnersreuth" die "natürliche, trockene, leicht skeptische Klugheit" der Bäuerin rühmte. Oder der 1934 von den Nazis ermordete Fritz Gerlich, Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, der im September 1927 nach Konnersreuth reiste, um den "Schwindel" auffliegen zu lassen. Er kam als glühender Resl-Verteidiger zurück, wurde katholisch und kämpfte gegen den "teuflischen Hitlerismus". In die Oberpfalz gefahren war Gerlich, weil er der Reportage über die mysteriösen Vorgänge in seiner eigenen Zeitung misstraute. Dabei war dieser Bericht vom 3. August 1927 eine echte Sensation: Er wurde in 32 Sprachen übersetzt und verwandelte Konnersreuth in einen Wallfahrtsort.

Der Medienhype war unglaublich und führte zu seltsamen Blüten. In Berlin verdiente sich 1928 der schlesische Bergmann Paul Diebel als blutiger Resl-Imitator sein Geld in Kaffeehäusern. Seine Stigmata waren allerdings einer Stecknadel im Trikot geschuldet. Nach dem Krieg verstärkte sich der Ansturm auf Konnersreuth sogar noch, da die Amerikaner, in der Nähe am Truppenübungsplatz Grafenwöhr stationiert, ihren Familien begeistert vom "Miracle Girl" berichteten. Drei Dinge seien von Deutschland in Amerika bekannt, räsonierte schließlich ein Publizist in den Fünfzigerjahren: Konrad Adenauer, das Münchner Oktoberfest und Therese Neumann von Konnersreuth. Der Autor Bernhard Setzwein verzichtet allerdings darauf, Resl als Person auftreten zu lassen. "Das erschien mir nicht passend." Dafür bietet er eine Reihe von Figuren auf, die sich darüber streiten, was von Therese Neumann zu halten ist. Dem Zuschauer bleibt es überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dass der Film nicht zustande kam, hängt mit der plötzlichen Absage des Produzenten Joseph Schenck zusammen. Der erkannte, dass die Zeiten des Stummfilms vorbei waren. Auf einen Tonfilm wollten sich aber weder Lillian Gish noch Max Reinhardt so schnell einlassen.

In der Oberpfalz elektrisiert das Thema unverändert. Als Setzwein mit Rickelt in einem Wirtshaussaal das Stück vorstellte, war die Atmosphäre anfangs "ziemlich unterkühlt", erinnert sich der Autor. Es bedurfte etlicher Erklärungen, um das Misstrauen zu beschwichtigen, man wolle das Ansehen Therese Neumanns beschädigen. Als zum Schluss Resls Nichte im Vorbeischlurfen Setzwein zuraunte "Macht's was Gescheit's", empfand er das schon fast als einen Vertrauensbeweis.

Resl unser. Das Stück zum Film vom Fall des Konnersreuther Mysterium; Uraufführung am Donnerstag, 14. März, 20 Uhr, Regionalbibliothek Weiden, weitere Aufführungen am 15.,16.,21.,22. und 23. März

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SZ vom 13.03.2019
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