Theater:Es gibt kein Entkommen

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Andrea Clausen, Sabine Haupt, Petra Morzé, Stefanie Dvorak (v.l.n.r.) tragen das "Mosaik des Grauens" vor. (Foto: Reinhard Werner/Burgtheater)

Ein Dauerfeuer, montiert aus den Reden rechter Populisten: "Alles kann passieren" von Doron Rabinovici und Florian Klenk am Wiener Akademietheater.

Von Peter Münch

Auf einer schwarzen Bühne sitzen vor einem schwarzen Vorhang an einem schwarzen Tisch vier Frauen und verlesen finstere Sätze. Vom "Volk" ist da viel die Rede, von "Feinden" und von Bedrohungen aller Art. Aber auch von "Freiheit", "Heimat" und von "Ehre". Sätze sind das, die in der jüngeren Zeit hinausgeschleudert wurden in die Welt, Sätze von Europas neuen starken Männern: von Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in Polen, vom Italiener Matteo Salvini und von den österreichischen Lokalmatadoren Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl. Es ist ein Dauerbeschuss nach Art der Stalinorgel, es gibt kein Entkommen, nicht im wirklichen Leben und auch nicht hier im Theater.

"Alles kann passieren", heißt das Stück, mit dem das Wiener Akademietheater, die zweite Spielstätte des Burgtheaters, zum Ort der politischen Aufklärung umfunktioniert wird. Der Titel ist einer bedrohlichen Verheißung Viktor Orbáns entlehnt - und er öffnet den Raum ins Universum der rechten Populisten, deren Aussagen nach einer gemeinsamen Idee von Florian Klenk, Chefredakteur des Magazins Falter, und des Schriftstellers Doron Rabinovici zu einem Polit-Theater montiert wurden. Ein "Mosaik des Grauens" nennt Klenk das Ganze bei der vorgeschalteten Einstimmung ins Stück, von einem "Stimmorkan gegen die offene Gesellschaft" spricht Rabinovici. Doch nicht laut und polternd wird das inszeniert, wie im Original - sondern ganz still.

Die vier Burg-Schauspielerinnen Andrea Clausen, Stefanie Dvorak, Sabine Haupt und Petra Morzé verlesen die prallen Sätze aus der neuen Zeit emotionslos im Stile von Nachrichtensprecherinnen aus den Siebzigern, das raschelnde Umblättern der Seiten inklusive. Solch szenische Entschlackung sichert die volle Konzentration auf die Worte. "An der Sprache könnt ihr sie erkennen", sagen Klenk und Rabinovici. Und das Zuhören lohnt sich, "denn sie sagen, was sie vorhaben."

Für den Chefredakteur Klenk ist dies "ein Stück investigativer Journalismus". Für den Schriftsteller Rabinovici soll "die theatralische Politik dargestellt werden, die von den rechten Populisten täglich gegen uns aufgeführt wird". Wenn die Politik zum Theater gerät, muss die Realität halt von der Kunst abgebildet werden. Für die Zuschauer allerdings kann die facettenreiche Montage aus manchmal furchtbar verlogenen und dann wieder furchtbar ehrlichen Sätzen auf Dauer auch anstrengend sein. Doch Schmerz muss sein, es geht ja ums Erschrecken und Aufrütteln.

Eine kleine Atempause ab und an bietet die Einblendung reflektierender Sätze von Victor Klemperer, Erich Kästner oder auch von Hannah Arendt: "Lügen erscheinen dem Verstand häufig viel einleuchtender und anziehender als die Wahrheit, weil der Lügner den großen Vorteil hat, im Voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht." Doch dann geht es gleich weiter mit Salvini im EU-Parlament, wo er den Abgeordneten empfiehlt: "Euch sollte ein sehr guter Arzt therapieren". Oder mit Orbáns Hetze gegen das "Imperium" von George Soros und die "Invasion" der Migranten. Oder mit Österreichs Innenminister Kickl von der FPÖ, der bei einem Kongress vor lauter Rechten über die "mieselsüchtigen Gestalten" im Wiener Parlament höhnt, über diesen "frustrierten, dauerbetroffenen Flügel der Roten und der Grünen". Denen, so unkt Kickl, werde doch sicher nicht die "Zukunft Europas" gehören.

In Wien, wo seit knapp einem Jahr eine Koalition aus ÖVP und FPÖ forsch vor sich hinregiert, und das nach Ansicht von Klenk "in den vergangenen Monaten zur Hauptstadt der Rechten geworden" ist, wird das Polit-Theater vom Publikum gefeiert. Alle sind sich einig, und wahrscheinlich ist die Protesthaltung auf den roten Theatersesseln am Ende doch noch bequemer als draußen auf der kalten Straße. Die Karten jedenfalls waren schon nach wenigen Stunden ausverkauft, und im Januar soll es weitere Aufführungen geben. Obendrein liegt auch bereits das Buch zum Stück vor, das der Zsolnay-Verlag mit einem alarmroten Cover in Umlauf bringt.

Eigens angereist zur Wiener Uraufführung ist auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der jüngst im wirklichen Leben seinem Kollegen Salvini am Konferenztisch Contra gab mit einem kräftigen "Merde alors", Scheiße noch einmal. Salvini allerdings war so stolz darauf, dass er den Vorfall heimlich filmte und veröffentlichte.

Auch das darf als Beleg dafür dienen, wie schwer es ist, der Welle von rechts etwas entgegenzusetzen. Am Schluss des Stücks treten die Schauspielerinnen aus ihren Rolle heraus: "Das Wesen der Zukunft ist Folgendes: Alles kann passieren", sagt eine. "Später wird keiner geglaubt haben, wozu die imstande gewesen sein werden; und niemand wird gewollt haben, was alles noch passieren konnte."

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