Theater:Erlösung im Untergang

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Kammerspiele

Begegnung zweier Planeten: Julia Riedler und Thomas Hauser.

(Foto: Armin Smailovic)

Felix Rothenhäusler inszeniert in München Lars von Triers "Melancholia" als reines Sprachspiel. Dabei vermeidet er jede Haltung zum Stoff.

Von Egbert Tholl

Als vor acht Jahren Lars von Trier seinen Film "Melancholia" in die Kinos brachte, war man verstört und überwältigt zugleich. Von den betörend schönen Bildern, von dem eigentümlich tapsenden Erzählrhythmus, von der Musik. Der Film ist eine Weltuntergangsoper, zu den Klängen von Wagners "Tristan" bewegt sich der vagabundi erende Planet Melancholia auf die Erde zu, wird am Ende mit ihr kollidieren, sie vernichten. Aber der Tristan-Akkord, den man hier unendlich oft hört, ist ja ein harmonisch unaufgelöstes Gebilde, dessen Offenheit den Schluss zulässt, dass das Ende der Welt vielleicht doch nicht das Ende von Allem ist.

Im Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele hört man ihn allerdings nie. Felix Rothenhäusler bringt dort den Filmstoff auf die Bühne, auf der nichts ist, und die aus einem Glasboden auf 30 Zentimeter hohen Stelzen besteht. Einzige Ausstattung: Zwölf Scheinwerfer, die sich gemächlich drehen, auf und nieder fahren, mal das Publikum blenden, stets auch Licht in den Zuschauerraum werfen. Dazu gehen fünf Schauspielerinnen und Schauspieler und ein Musiker spazieren, ausstaffiert im größtmöglichen Gegensatz zu den Figuren im Film, leicht futuristisch gewandet.

Im Film fällt das erste Wort nach etwa zehn Minuten, seine Ouvertüre ist ein psychotisch-surrealer Wagnerklangbildrausch. Aber hier gibt es ja keine Bilder, und die ersten Worte kommen sogleich, auf läppischste Art gesungen vom Musiker Christian Naujoks, der auf Englisch irgendwas von "Zigarren auf Eis" und Liebestrunkenheit murmelt. Dazu tappst er auf einem Computerchen herum, mit dem er verschiedene Varianten vom Surren und Brummen steuert, womit sein musikalischer Beitrag erschöpft ist.

Das Ende der Welt, "die niemand vermissen wird", ist für Justine eine Erlösung

"Melancholia" erzählt die Hochzeit von Justine und Michael, die auf dem Schloss von Claire, Justines Schwester, und John, ihrem reichen Mann, stattfindet. Die Hochzeit, deren Feier Lars von Trier mit Momenten sardonischen Grinsens durchsetzt, scheitert im Moment, in dem sie stattfindet. Weniger, weil Justine nachts auf dem Golfplatz einen lächerlichen Mitarbeiter ihres patriarchalischen Chefs vögelt, sondern viel mehr deshalb, weil sich das, was Michael sich erhofft, nicht einstellt: Glück. Justine ist depressiv, legt sich lieber allein in die Badewanne, als mit der Gesellschaft zu feiern. Sie ist dysfunktional, ein eigentlich widerwärtiges Wort, das hier aber sehr gut passt, weil sie sich ums Funktionieren oder Nichtfunktionieren nach gesellschaftlichen Maßstäben nicht schert und die Welt, auf die der Planet zurast, auch nicht funktioniert. Nach dem Fiasko des Fests bleiben Justine, Claire, deren Sohn Leo und John allein zurück, John bringt sich um, als er erkennt, dass die Erde nicht zu retten ist, Claire wird aus Angst hysterisch, Justine jedoch immer ruhiger und klarer, erfindet eine Wunderhöhle aus ein paar Stecken, um Leo jede Furcht zu nehmen. Das Ende der Welt, die sie nicht mag und "die niemand vermissen wird", ist für sie eine Erlösung.

Ob sich die Schauspielerin durch den Abend oder als Justine durchs Leben kämpft, bleibt offen

Das alles erzählen hier die Menschen auf der Bühne. Sie erzählen auch das Setting des Films, die Szenerie, das klingt dann wie ein "Tatort" in der Fassung für Menschen, die nicht gut sehen. Gern wüsste man, wie es sich anfühlte, wenn man den Film nicht kennen würde. Kennt man ihn, ist die Erzählung eine Evokation der Erinnerung. Man geht im Kopf in den Filmbildern spazieren, entdeckt hie und da eine kleine Abweichung. Die Menschen auf der Bühne verhalten sich dazu wie Planeten auf ihren eigenen Bahnen. Manchmal begegnen sie sich, dann führen sie auch mal einen Dialog. Meist reden sie für sich, erzählen, am Ende sitzen sie vereint in der Erwartung des Todes oder der Erlösung nebeneinander an der Rampe.

Hat man langen den Eindruck, dass diese Aufführung möglicherweise total nullig ist, überwunden, stellt sich Faszination ein. Es ist der Abend zweier Frauen. Die Männer sind Füllmaterial, das es zum Erzählen braucht. Majd Feddah spricht auf Englisch John und in Personalunion Justines blöden Chef. Thomas Hauser ist der sanfte Michael. Daneben verkörpert Gro Swantje Kohlhof mit großer Spiellust das Kind Leo.

Eva Löbau erzählt und spielt Claire. Sie ist das emotionale Moment der Aufführung, erst ostentativ lebensfroh, dann restlos verzweifelt. Man kann sich ihre Claire als die eine Seite derselben Figur denken, deren andere Julia Riedler ist. Sie ist Justine. Aber sie spielt Justine nicht depressiv, sondern durchscheinend, fragil. Riedler denkt beim Sprechen über den Text nach, durchaus skeptisch, sie erzwingt Aufmerksamkeit, schafft eine enge Bindung zu den Zuschauern, entschuldigt sich, wenn einige von diesen den Saal verlassen. "Ich kämpf' mich hier durch." Ob als Schauspielerin durch den Abend oder als Justine durchs Leben, das bleibt offen. Aber wenn schon Rothenhäusler jede Haltung zum Stoff vermeidet und diesen nur detailliert nacherzählt, ergibt dieses Unterfangen in Riedlers besten Momenten doch einen Sinn. Den Sinn eines vorüberziehenden Gedankens.

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