Theater:Einordnen, ausscheren

Ceren Oran: Schön anders

Verbunden, ohne sich zu gleichen: In "Schön anders" ist alles so fein gearbeitet, als seien die Tänzer auf der Bühne miteinander verbunden. Doch niemand ist hier wie der andere, jeder bricht auf seine Art aus der Gruppe aus.

(Foto: Tania Bloch)

Die Choreografin Ceren Oran hat ein Tanzstück für Kinder am Theater Hoch X konzipiert, das aber für alle funktioniert. Es erzählt von der Reibung zwischen Ich und Welt

Von Sabine Leucht

Die Brillen sind weiß und haben dunkle Gläser. Sie können unsichtbar in den fein individualisierten khaki-beige-grauen Kostümen stecken, klassisch auf der Nase thronen oder in diversen Schräglagen am Ausschnitt baumeln. Und immer, wenn eine der vier Tänzerinnen, der Tänzer oder der Musiker seine Brille versetzt, tun es ihm die anderen nach.

Ausscheren ist schwierig, der Sog der Gruppe groß in Ceren Orans "Schön anders". Zumindest zu Beginn. Das Tanzstück, das heute im Hoch X Premiere hat, ist die erste abstrakte Arbeit für Kinder der in Istanbul geborenen Choreografin, die mit ihren musikalischen Tanz-Figuren-Performances "Elefant aus dem Ei" oder dem Ende März wieder beim Kuckuck-Festival zu sehenden "Sag mal ..." zu einer der interessantesten, umtriebigsten und bestvernetzten Künstlerinnen der Münchner freien Szene zählt. Ganz abgesehen davon, dass sie auch Stücke für Erwachsene macht und als Tänzerin hier wie dort selbst mittelmäßige Produktionen anderer aufpeppt - allein durch ihre Präsenz.

Für "Schön anders" haben Oran und ihr internationales Team mehrere Wochen in dem Kibbuz geprobt, in dem ihr wohl treuester Mit-Tänzer Roni Sagi zu Hause ist. Dort haben sie die Erfahrung gemacht, dass auf das eigentlich schon für Sechsjährige konzipierte Stück auch ältere Kids anspringen. Nach dem Besuch einer Durchlaufprobe steht fest: Was hier ohne Worte und Figuren über die Reibung von Ich und Welt, von Trendsetting und Grenzüberschreitungen erzählt wird, sollten alle sehen. Weil der 40-Minüter herrlich unplakativ und komisch ist. Und weil hier vom allmählichen Zusammensetzen einer gemeinsamen Bewegungssprache bis zum Sichauswachsen minimaler Abweichungen zu regelrechten Ausbrüchen alles so fein gearbeitet ist, als hingen die Menschen auf der ansonsten leeren Bühne mit einem unsichtbaren Faden zusammen. An diesem Faden spinnt auch die Musik mit, die der österreichische Pianist Benny Omerzell seinem Keyboard entlockt. Anfangs dumpfe, ins Stolpern geratende Herzschläge, dann fast futuristische und schließlich zunehmend wärmere, fließende Klänge begleiten den Tanz. Sound, Licht, Kostüme und Bewegung: Alles ist aus einem Guss.

Doch die Arten und Weisen, wie die Einzelnen ausscheren aus dem funktionale Alltagsgesten verfremdenden Gruppentanz der Angepassten, sind so unterschiedlich wie die Erfahrungswelten der Tänzerinnen und Tänzer: mal spielerisch-ausgelassen, mal mit aus der Übererfüllung der Norm geborener Verzweiflung. Schöne Soli entstehen so, etwa wenn Oran sich am eigenen Zopf durch die Manege führt. Und schön ist auch, wie einfach die verwendeten Mittel sind: toller Tanz und Musik - das schon. Doch sonst braucht es nur einen (hart umkämpften) Stuhl, Haare - und Brillen.

Schön anders, Hoch X, Entenbachstraße 37, 6. Februar, 9 und 11 Uhr; 7. Februar, 10 Uhr; 8. Februar, 15 Uhr

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