Theater:Eine 200 Minuten lange Nase

Es scherzelt: Leander Haußmanns inszeniert "Cyrano de Bergerac" am Thalia-Theater in Hamburg.

Von Till Briegleb

Hat es nicht etwas Versöhnliches, dass es wenigstens noch ein Theaterstück gibt, bei dem die Kyritzer Knattermimen aus dem gleichen künstlerischen Fundus schöpfen wie das Hamburger Thalia-Theater, wo historische Aufführungsbrüche wie die Erfindung des Regie- und Diskurstheaters keinerlei Bedeutung haben, ja wo die versammelte Theater- und Filmgemeinde in Mantel und Degen vereint steht? "Cyrano de Bergerac", Edmond Rostands Vorlage von 1897 für lange Fechtszenen und Versdeklamationen, lang anhaltende Liebe und die langen Nasen der Hauptdarsteller, ist dieser große Weltfrieden im Stilkrieg, der so aktualisierungsresistent bleibt, dass die Google-Bildersuche zu dem Stichwort nichts als Federhüte hervorbringt.

Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand Thalia Theater; cyrano

Jens Harzer prüft die Geduld der Zuschauer.

(Foto: Krafft Angerer)

Natürlich kann diese Tradition auch ein wenig langatmig wirken für jeden, der schon mal eine Version dieses Pinocchio-Theaters in Film, Fernsehen oder auf der Bühne gesehen hat und daher den eher schlichten Inhalt kennt. Aber das kann einen lang im Inszenierungsgeschäft tätigen und nach eigenen Interview-Aussagen vor der Premiere ganz besonders veranlagten Regisseur wie Leander Haußmann nicht davon abhalten, das Stück auf 200 Minuten zu längen, also doppelte Spielfilmdauer.

Zumal er in der Hauptrolle einen Schauspieler hat, der vielleicht von allen deutschen Ausnahmetalenten das größte Verlangen nach Monologen zeigt. Kostümiert im Cyrano-Standard der Theatergeschichte als Kadett des 17. Jahrhunderts mit Pluderbluse, Langstiefeln und Degen darf Jens Harzer die Geduld des Publikums belangen mit einem langlebigen Rezitativ gekünstelter Sehnsucht unter der Langhaarperücke.

Ja, es geht in diesem Stück um das Lange in seinen vielfältigen Bedeutungsvarianten und Wortabstammungen, da gehört vielleicht auch das Belanglose dazu, das Leander Haußmann daraus macht, indem er den ganzen elektrischen Kosmos des frühen Science-Fiction-Autors, Aufklärers, Dandys, Revolutionärs und Konventionsverächters Cyrano de Bergerac zu trivialem Unterhaltungstheater verlangsamt. Aber Haußmann ist eben auch der Meinung, dass das aktuell Gesellschaftliche und Politische im Theater nur noch nervt. Und mit dieser langweiligen Haltung wird man dann eben zu diesem Effektmaschinist mit Mega-Ego, der im Kino so viel besser aufgehoben ist als im Theater.

Auf der Bühne des Thalia Theaters, wo Haußmann und Harzer alle anderen zu Statisten degradieren, klingt Lyrik jedenfalls längst wie Rapport, und Fecht- wie Liebesszenen stammen vom Flohmarkt, weswegen sie mit Albernheit und Ironie theatergerecht drapiert werden müssen. Und das scherzelt dann halt so lange vor sich hin, bis es langt. Oder einmal kurz gesagt: es nervt.

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