Der Schriftsteller Doğan Akhanlı ist gerade im Urlaub, als er gegen acht Uhr morgens in seinem Hotelzimmer in Granada von einem Trupp Polizisten überrascht wird. Man möchte sagen: überfallen. Sie tragen kugelsichere Westen, vorher haben sie das Hotel räumen lassen. Der türkische Autor mit deutschem Pass glaubt anfangs, es handle sich um eine Routinekontrolle wegen des Terroranschlags in Barcelona - es ist der Sommer 2017 -, und regt sich, anders als seine hanseatische Lebensgefährtin, nicht einmal auf. Allein dass er treuherzig annahm, dass ihm so etwas im EU-Land Spanien ohne Weiteres widerfahren könne, geht einem nahe. Wie einen Systeme doch prägen!
Akhanlı ist von den Repressionen der Türkei geprägt, deren Regierung auch diesmal hinter der Sache steckte. Sie hatte ihn über Interpol ausgeschrieben - Vorwurf: bewaffneter Raubüberfall -, und so landete Akhanlı aus heiterem Urlaubshimmel hinter Gittern. Wieder einmal. Es war die vierte Inhaftierung in seinem Leben, in diesem Fall begleitet von internationalen Protesten, so dass er nach gut zwei Monaten frei und zurück nach Köln kam, wo er lebt. Hier hat sich das Theater nun seiner Geschichte angenommen: "Verhaftung in Granada" erzählt auf Basis des von Akhanlı 2018 unter demselben Titel veröffentlichten Buches nicht nur von eben dieser Verhaftung, sondern auch von den vorherigen, eingebettet in die Lebensgeschichte des 1957 in einem Dorf an der Schwarzmeerküste geborenen Schriftstellers.
Entstanden ist ein leiser, konzentrierter, humanistischer Abend, der die Stärke des Theaters, spielerisch von uns Menschen zu erzählen, einfühlsam und klug nutzt, um Empathie zu erzeugen und gleichzeitig auch so etwas wie politische Aufklärung oder Bewusstseinsbildung zu betreiben. Akhanlıs persönlich erlebte Geschichte von staatlicher Willkür, Unterdrückung, Folter und Flucht steht pars pro toto für abertausend andere, nicht niedergeschriebene, nicht zu Gehör gebrachte Häftlings- und Flüchtlingsschicksale. Dass sie einen bewegt und nicht trocken dokumentartheatralisch belehrt, ist der sensiblen Regie von Nuran David Calis zu verdanken, der auch die Bühnenfassung erstellt hat.
Calis, als Sohn türkisch-armenischer Eltern in Bielefeld geboren, hat sich 2017 in Köln schon in dem Projekt "Istanbul" mit Erdoğans autokratischer Türkei beschäftigt. Damals, noch vor seiner Verhaftung in Granada, trat Doğan Akhanlı persönlich auf. Das tut er diesmal nicht. In der "Außenspielstätte" am Offenbachplatz übernehmen Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen und Murat Dikenci abwechselnd seinen Part als Ich-Erzähler. Wer als Akhanlı spricht (meistens der kleine, stramme Hanushhesky), setzt sich zur Markierung des Intellektuellen eine randlose Brille auf und zieht sich ein Jackett über; während die beiden anderen jeweils in kurzen Spielszenen Figuren wie Akhanlıs Familienmitglieder, Freunde, Beamte, Wächter übernehmen.
Die Bühne (Anne Ehrlich) ist dunkel, an der Decke Ventilatoren, in der Mitte ein grauer Kasten mit Glasfenstern, der sich drehen kann. Im Kasteninneren spielen sich Familien- und Verhörszenen ab, angerissene Erinnerungen. Manchmal spiegelt sich nur ein Gesicht. Die drei Akteure filmen die jeweilige Situation mit einer Livekamera, deren Bilder auf ein Videofenster links über der Bühne übertragen werden, wodurch eine weitere Erzählebene entsteht. Das ist alles sehr fein gemacht, auch wird Gewalt nicht ausgestellt, nur angedeutet. Man sieht die eine oder den anderen in der schwarzen Tiefe der Bühne sich ausziehen, an der Wand lehnen, sich gequält abwenden - Bilder wie aus einem Verlies.
Das erste Mal inhaftiert und mit dem Kopf immer wieder gegen die Wand geschlagen wurde Akhanlı 1975, nachdem er eine falsche Zeitschrift gekauft hatte, eine mit rotem Stern drauf. Er war 17. "Schon damals fand ich keine Erklärung für die Gewalt, die man mir antat", sagt der Schriftsteller, der nach dem Militärputsch 1980 in den Untergrund geht. 1985 wird er wieder verhaftet, mit Frau und Sohn. Man macht ihm Druck. Er schweigt. 1991 gelingt ihm die Flucht nach Deutschland, auch das abenteuerlich zu hören. Als Akhanlı, inzwischen deutscher Staatsbürger, 2010 seinen kranken Vater besuchen will, wird er erneut festgenommen. Die Szene ist eine der absurdesten, weil die zwei Grenzpolizisten mit der Sache total überfordert und wegen des Fastenmonats sehr gereizt sind.
Berührend, wie Akhanlı in seinem Erzählen Humor und Milde walten lässt. Gut auch, dass und wie die drei Schauspieler sich selbst als Personen einbringen und davon berichten, wie es ihnen bei den Proben zu diesem authentischen Stoff erging. Zwei türkischstämmige Mitarbeiter, erfahren wir, sind ausgestiegen. Die Angst, künftig vielleicht nicht mehr in die Türkei einreisen zu dürfen, war zu groß.