Edith Clever zum 80.:Hehre Sprachkünstlerin

CLEVER

Vom Publikum angebetet, gefeiert und geliebt: Edith Clever als Gertrud im Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien.

(Foto: STEPHAN TRIERENBERG/Associated Press)

Ihre Rollen in Peter Steins Inszenierungen waren Triumphe. Als große Tragödin erzählte sie von den dunkelsten Seiten des Menschen. Nun wird die auratische Stimmvirtuosin Edith Clever 80.

Von Christine Dössel

Wenn Edith Clever an diesem Sonntag ihren 80. Geburtstag feiert, wird sie das nicht ungetrübt tun. Schließlich hätte am selben Tag eine Kollegin Geburtstag, die aufs Engste mit ihrem Leben verbunden ist: die vor zehn Tagen im Alter von 82 Jahren gestorbene Jutta Lampe, Clevers Bühnenpartnerin seit den gemeinsamen Anfängen am Theater Bremen. Dort formierte sich in den Sechzigerjahren jene Schauspieltruppe um den jungen Regisseur Peter Stein, die 1970 in Berlin die Schaubühne neu begründete - mit epochaler Wirkung. Edith Clever und Jutta Lampe, die unter Steins Regie schon in "Kabale und Liebe" und in dem aufsehenerregenden "Tasso" mit Bruno Ganz gemeinsam auf der Bühne standen, waren die weiblichen Stars des Schaubühnen-Ensembles. Schauspielköniginnen, Stimmvirtuosinnen, auch Rivalinnen, vom Publikum angebetet, gefeiert und geliebt.

Begabt mit einem hohen Ton und einem Zug ins Pathos, umgibt diese Schauspielerin eine Aura des Erhabenen

Wobei Edith Clever im Vergleich mit der fluiden, mädchenhaft-unschuldig wirkenden Lampe meist die Dunklere, Ab- und Tiefgründigere war, begabt mit einem hohen Ton und einem Zug ins Pathos, der Menschen erschüttern kann. An der Schaubühne war sie die große Tragödin, durchlässig für das schlimmste Leid. Ihre Agaue in Klaus Michael Grübers legendärer "Bakchen"-Inszenierung von 1974 ließ den Schock der Mutter, die erkennt, dass sie ihren eigenen Sohn zerfleischt hat, in einem qualvoll langen Schrei erschallen. Ihre Klytämnestra in Steins "Orestie" von 1980 beging den Gattenmord aus heiligem Schmerz heraus.

In den archivierten Aufführungen, die die Berliner Schaubühne im Lockdown online gezeigt hat, konnte man sie jetzt (wieder) sehen und bewundern, die strenge, ernste Schönheit, die Gestaltungspräzision und viel gepriesene Erhabenheit der Clever. Ihre Rollen in Peter Steins Inszenierungen waren Triumphe. Tief berührend ihre Warwara in den "Sommergästen" (1974), von schmerzvoller Gefasstheit ihre Olga in den "Drei Schwestern" (1984). Und als Lotte in Botho Strauß' Stationendrama "Groß und klein" bewies sie 1979 eindrucksvoll, dass sie, die hehre Sprachkünstlerin, das Herz auch komödiantisch auf der Dialektzunge tragen kann.

Geboren 1940 in Wuppertal, wuchs Edith Clever in bescheidenen Verhältnissen auf. Sie war keine gute Schülerin, wusste aber nach einer Lehrzeit bei einer Fotografin, dass sie "Kunst machen" wollte. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie an der Otto-Falckenberg-Schule in München, und nach ihrem Debüt in Kassel ging es 1966 in Bremen auch schon los mit ihrer gloriosen Karriere, die sie in die höchsten Höhen der Schauspielkunst führte, wobei sie mit einem tiefen Wissen aus deren Urgrund zu kommen schien. Clever, die feinnervige Hohepriesterin des Wortes. Die Diva mit der betörenden Stimme, die Sätze zum Klingen bringt. Clever, die Kleist-Durchdringerin.

Sie war 1976 in Eric Rohmers Film die Marquise von O. und spielte, wundersam entrückt, diese Kleist-Figur später auch bei Hans-Jürgen Syberberg, dem deutschen Mythengründler, mit dem sie sich nach ihrem Weggang von der Schaubühne 1984 zusammentat. Sie war Syberbergs Muse und Sprachheroine, unter seiner Regie bewältigte sie vielstündige, solitäre Monologe: "Parsifal", "Die Nacht", "Penthesilea" - radikal pur und eigen. In den Neunzigerjahren fing Clever selbst an, Regie zu führen, und inszenierte etwa mit Jutta Lampe in der Titelrolle Becketts "Glückliche Tage" und "Der Hausbesuch" von Rudolf Borchardt.

Schauspiel Jedermann , im Rahmen der Salzburger Festspiele 2020, am Domplatz in Salzburg, am 29.07.20. Das Bild zeigt v.

Im Salzburger "Jedermann" mit Tobias Moretti war sie in diesem Jahr zum letzten Mal als Mutter zu sehen. Nächstes Jahr spielt sie den Tod.

(Foto: Rudi Gigler via www.imago-images.de/imago images/Rudolf Gigler)

Inzwischen hat sich Clever weitgehend vom Theater zurückgezogen, was natürlich ein Jammer ist. Sie hat ein Haus an der Havel, darin muss man sie sich lesend und nachdenkend vorstellen. Sie sagt, sie brauche Ruhe und Zeit. Seit drei Jahren allerdings bereichert sie bei den Salzburger Festspielen die "Jedermann"-Inszenierung von Michael Sturminger in der kleinen Rolle der Mutter. Es ist jedes Mal ein Ereignis, sie in ihrer Klarheit und Eleganz auftreten zu sehen. Mit ihr öffnet sich ein Resonanzraum des Sprechtheaters wie aus einer anderen Zeit. Im nächsten "Jedermann" wird Clever die Mutter-Rolle an Angela Winkler abgeben und dafür den Part des Todes übernehmen. Noch nie hat man sich so auf den Tod gefreut. Sie selber lebe lang, und sie lebe hoch.

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