Süddeutsche Zeitung

Theater Düsseldorf:Hörbuch auf Beinen

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Matthias Hartmann hat in Düsseldorf mit nur sieben Schauspielern versucht, Harry Mulischs Jahrhundertroman "Entdeckung des Himmels" auf die Bühne zu bringen.

Von Alexander Menden

Am Ende hält der Erzählerengel den letzten Lebensfunken in der Hand. Er hat die Form eines leuchtenden Eis, in dem die Hoffnung der Menschheit auf Erlösung glüht. Zu diesem Zeitpunkt ist diese Menschheit schon längst dem Satan überantwortet worden, und das Publikum im Düsseldorfer Schauspielhaus hat einen langen Abend kompromisslos epischen Theaters hinter sich gebracht. Matthias Hartmann hat sich den Roman "Die Entdeckung des Himmels" von Harry Mulisch vorgenommen, und daraus in deutscher Erstaufführung eine gut vierstündige Bühnenversion gebaut. Ein ehrgeiziges Unterfangen. Aber eines, das angesichts der Rolle, welche die Mulischs Roman beherrschenden Fragen zu Religion und zur technischen Beherrschung der Welt heute spielen, als durchaus lohnend erscheint.

Das Problem der ungeheuren Handlungsfülle

Berichtet aus der Perspektive zweier Engel (Serkan Kaya und Andreas Grothgar), entfaltet sich die Dreiecksstory von Onno Quist, dem rebellischen Sohn einer niederländischen Patrizierfamilie, seinem Seelenverwandten Max Delius, dem erotomanen Sohn eines österreichischen Nazi-Kollaborateurs und einer in Auschwitz ermordeten Jüdin sowie Ada Brons, einer Cellistin, in die beide sich nacheinander verlieben. Gleichsam zu dritt zeugen sie einen Messias, Quinten, dem ein göttlicher Auftrag mitgegeben ist. Davor, dazwischen und danach reisen sie zu einer Umstürzlerkonferenz in Kuba, erleben Katastrophen und Erleuchtungen, necken einander, streiten, versöhnen sich, sterben.

Hartmann hat sich dafür entschieden, das Problem der ungeheuren Handlungsfülle, die den Roman für eine theatrale Umsetzung schwierig macht, zu lösen, indem er die Figuren zu ihrer eigenen Stimme aus dem Off macht. Die Schauspieler sprechen nicht nur Dialog, sondern berichten auch in der dritten Person, quasi aus Sicht des Erzählerengels, über Gedanken, Motive und Aktivitäten ihrer Rolle. So wird aus der Produktion streckenweise ein ausagiertes Hörbuch. Zugleich bürdet Hartmann den drei Hauptdarstellern, Christian Erdmann als Onno, Moritz Führmann als Max und Anna-Sophie Friedmann als Ada, eine gigantische Textlast auf. Nicht selten tasten die Darsteller sich so offensichtlich durch die Worte, dass man ihnen einfach nur die Daumen drückt, sie mögen da durchkommen. Kein Wunder, dass eine detaillierte Ausarbeitung der Rollen dabei weitgehend auf der Strecke bleibt.

So reduziert, wie man das sonst eher von reisenden Kindertheatern kennt

Es braucht Selbstbewusstsein, eine so weitläufige Geschichte mit nur sieben Darstellern und einem Musiker (Karsten Riedel) zu erzählen, zudem mit einem bewusst begrenzten Instrumentarium an Requisiten und Effekten. Hartmann und sein Bühnenbildner Volker Hintermeier suggerieren mit ein paar Holzstühlen und Kerzen Wohnungsinterieurs und Autofahrten derart reduziert, wie man das sonst eher von tourenden Kindertheatern kennt. Dass das auf der großen Bühne funktioniert, ist der technischen Sicherheit zu verdanken, mit der Hartmann seine Bühnenmittel beherrscht. Amsterdam, Havanna, Rom erschafft er, indem er ein paar kleine Modelle auf einem Tisch abfilmen und auf die Rückfläche projizieren lässt. Emblematisch erscheinen je nach Thema auf der runden Scheibe über dem Bühnengeschehen Mondkrater, der Diskos von Phaistos, den Onno zu entschlüsseln versucht, oder die Dachöffnung des Pantheons.

Doch eine handwerklich souveräne Reduktion bewahrt den Abend nicht vor den Kitsch streifenden Momenten. Eine Sexszene zwischen Max und Ada müssen Führmann und Friedmann durch bebend über einem Cellokorpus sich annähernde Hände suggerieren. Bei seinem Besuch in Auschwitz erstarrt Max in einem Schrei, der als Entsetzensgestus abgegriffen und inadäquat wirkt. Arg unsubtil auch die Zusammenführung der Gesichter von Onno und Max zu einem Hybridantlitz, das als Illustration ihres symbiotischen Verhältnisses als "zweieiige Einlinge" herhält.

Zur spirituellen Dauerentflammtheit verdonnert

Mulisch hatte sich lange gegen jede dramatische Verarbeitung gesperrt, bis er seinem 2001 Landsmann Jeroen Krabbé dann doch für dessen gefeierte Verfilmung die Rechte überließ. In Düsseldorf erweisen sich nicht in erster Linie die technischen Herausforderungen eines achthundertseitigen Welterklärungsromans als größte Hürde, sondern vor allem dessen parareligiöser Inhalt. Quinten, gespielt von einem zur spirituellen Dauerentflammtheit verdonnerten Jonas Friedrich Leonhardi, stiehlt Moses' Gesetzestafeln aus dem Vatikan, und reist mit seinem Vater Onno, den er nach langer Zeit wiedergetroffen hat, nach Israel. Dort zerbersten die Tafeln, die Gesetze fliegen als leuchtender Wortsalat wieder in den Himmel. Der himmlische Bund ist aufgekündigt.

Natürlich hilft es nicht, dass Hartmann dem letzten Drittel, in dem es besonders esoterisch zugeht, jede Ironie austreibt. Aber gerade jene Themen, die "Die Entdeckung des Himmels" so zeitgemäß erscheinen lassen, sind als wörtliche Übernahme aus dem Buch einfach altbacken. Dass die Menschen mit ihren Autos, Fernsehern und Computern eine Art göttliche Macht und ein entsprechendes Zerstörungspotenzial entwickelt haben, war 1992, als der Roman erschien, ein Menetekel. In der Gegenwart wirkt es wie eine Fußnote zu tagtäglichen Entwicklungen. Als am Ende das Ei der Hoffnung erlischt, spürt man daher statt der offenbar angestrebten Ahnung drohenden Untergangs vor allem eins: Erleichterung.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2019
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