Pegida in Dresden:Draußen brennt die Stadt

Pegida in Dresden: Der Mob folgt dem Grafen: Am Wochenende findet am Staatsschauspiel Dresden die Premiere von "Graf Öderland/Wir sind das Volk" statt.

Der Mob folgt dem Grafen: Am Wochenende findet am Staatsschauspiel Dresden die Premiere von "Graf Öderland/Wir sind das Volk" statt.

(Foto: Matthias Horn)

Die Montagsdemonstranten von Pegida vergiften Dresden mit Hass und Angst. Nun reagiert das Theater der Stadt.

Von Alex Rühle, Dresden

Montagabend halb sieben. Deutschland-, Sachsen-, Russlandfahnen flattern über den Platz, darunter stehen etwa 5000 Leute, ein Ehepaar mit Pudel neben vier Thor-Steinar-Jungs, ein Grüppchen alter Männer unter einem Schild "Bad Gottleuba - Unsere Menschen - Unsere Kultur". Aus den Lautsprechern rieselt erst leise der Schnee, dann laut und umjubelt der Hass: Lutz Bachmann. Da steht er auf seinem Lkw und schimpft über Islamisierung, Invasion und Merkels Verrat an Deutschland.

Es ist ein vorweihnachtlich ruhiger Pegidamontag in Dresden. Ein norwegischer Fotograf wird bespuckt, ein russischer Kameramann wird zusammengeschlagen und muss ins Krankenhaus, aber zum einen muss man sich wehren gegen die internationale Lügenpresse, zum anderen: Was sind schon zwei Übergriffe gegen die 5000 Opfer, die hier stehen! Opfer der Medien. Opfer der Politik. Opfer der islamischen Invasion. Und jetzt sollen sie auch noch schuld daran sein, dass die Touristen wegbleiben. Wo sie doch die Einzigen sind, die sich engagieren: "Was wir in den letzten Monaten für Deutschland geleistet haben, ist einzigartig", sagt Bachmann. Trotzdem will man ihnen den Einbruch im Tourismussektor in die Schuhe schieben.

Man habe ihn ja vonseiten der Stadt angefleht, wenigstens während des Weihnachtsmarktes zu pausieren mit den Demos. Bachmann hat auf Facebook mit einem Forderungskatalog geantwortet, den er jetzt verliest: Man werde pausieren, wenn ein sofortiger Einwanderungsstopp verhängt werde, der Stellenabbau bei der Polizei gestoppt und Abschiebungen im großen Maß eingeleitet würden. Der Mann weiß sich auf Augenhöhe mit Berlin. Die Menge johlt, Merkel muss weg, ein Mann in schwarzer Jacke schreit: "Wir werden sie vernichten, wir werden sie vernichten."

Ein "Bürgerchor" verkündet die Parolen des Volkes

Der Dramaturg Robert Koall sagt, er schäme sich dafür, aber als er das letzte Mal eine Journalistin zur Demo begleitete, habe er eine Mütze tief ins Gesicht gezogen, als Tarnung. Der Regisseur Volker Lösch sagt, viele Dresdner hätten mittlerweile Angst, "richtig aufs Maul zu kriegen. Ich kann das verstehen. Und trotzdem find' ich das Schlimmste die schweigende Mehrheit."

Lösch ist im Stress, letzte Probentage, am Wochenende hat seine neue Inszenierung Premiere, "Graf Öderland/Wir sind das Volk". Lösch hat dafür Max Frischs Stück von 1961 mit einem "Bürgerchor" verschaltet, in dem knapp 30 Dresdnerinnen und Dresdner Sätze sagen, die in dieser Stadt im Verlauf des letzten Jahres genau so gesagt wurden. Lösch ist gar nicht so sehr davon überrascht, wie tief in die einstmals bürgerliche Mitte der Fremdenhass, das Opfergefühl, die reaktionäre Angst gesickert sind. Schließlich hat er seit 2001 immer wieder Stücke in Dresden inszeniert, für die er jeweils die Bewohner selbst nach ihrer Befindlichkeit befragte, um die Antworten dann in die Stimme eines Bürgerchors zu destillieren.

Schon bei seiner "Wozzeck"-Inszenierung 2007 war aus den Publikumsantworten ein Extremismus der Mitte herauszulesen, Junge wie Alte antworteten mit Versatzstücken populistischer Welterklärung: Schuld sind das globale Kapital, die antiautoritäre Erziehung, "die da oben".

Und was ist dann diesmal neu? "Dass sich das seit Pegida hemmungslos Bahn bricht", sagt Lösch. "Und dass es mit einem immensen Hass aufgeladen wurde." Er spricht von einem "völlig enthemmten Diskurs" und berichtet von Lynchjustiz-Szenen, mitten in der Stadt. Auch das Theater bekommt Droh-Mails. "Wir werden euch ausrotten", einige schreiben solche Sätze mit vollem Namen auf Facebook.

Die Verlockung der totalen Enthemmung

Im "Wozzeck" war der Chor nicht polyphon, sondern polyphob: Angst war das Leitmotiv, Angst vor dem sozialen Abstieg. Vor Übervorteilung, Ausländern, Gewalt und dem eiskalten Markt. Diesmal wirkt der Chor wie eine massive Mauer, die immer weiter hochgerüstet wird: Erst tragen sie Fackeln, dann Äxte und Militärkleidung. Was sie sagen, wurde Wort für Wort so auf den Demonstrationen skandiert, ein im Hass verschworener Haufen, der sich als Polit-Avantgarde in einer vorrevolutionären Situation empfindet: "1989 hab' ich hier gestanden als junger Mann, und heute müssen wir wieder hier stehen!"

Der Chor wird auf der Bühne zur Gefolgschaft des Grafen Öderland aus dem Max-Frisch-Stück über die Verlockung der totalen Enthemmung: Ein Staatsanwalt ist fasziniert von einem Mörder, einem gewissenhaften Bankangestellten, der ohne jedwedes Motiv einen Mann mit einer Axt erschlug. Die Gewalttat fasziniert den Staatsanwalt so sehr, dass er sein genormtes, Zwängen unterworfenes Leben hinter sich lässt und durch die Wälder zieht. Er schart immer mehr Unzufriedene um sich, die ihre diffusen Sehnsüchte, ihre Hoffnung auf Erlösung und Umsturz auf ihn projizieren und in ihm Graf Öderland sehen, eine grausame Sagengestalt mit einer Axt.

So wächst der irrlichternde Aussteiger zu einer auratischen Figur heran, gerade im Vergleich mit den ängstlich verdrucksten Provinzpolitikern seiner Stadt, die ihm nichts entgegenzusetzen haben, sodass ihm irgendwann wie von selbst die Macht übertragen wird. Am Schluss wacht der Staatsanwalt in seinem Büro auf. Anscheinend war alles nur ein Traum. Allerdings brennt draußen die Stadt.

Die Anschlussmöglichkeiten liegen auf der Hand: Der Chor, das sind die Gefolgsleute dieses Grafen aus Frischs Parabel.

Was kann Theater noch leisten?

Katrin Kaden und Hans Strehlow sind zwei der Chormitglieder. Sie sitzen vor der Hauptprobe in der Kantine des Staatsschauspiels. Sie ist alleinerziehend mit einer 17-jährigen Tochter, ihr eigener Vater ist Jordanier. Strehlow ist Rentner. Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein, und doch sagen sie sehr ähnliche Dinge. Wie man die Leute mittlerweile automatisch taxiere in der Straßenbahn: Der geht zu Pegida, der nicht. Wie die ganze Stadt erkaltet sei. Wie das Gift der Zwietracht in jedes Familiengespräch, jede Geburtstagsfeier eingesickert sei. Man könne nicht mit den Pegida-Anhängern reden, sagen beide, unmöglich. "Wenn das losgeht in einer Kneipe, ziehst du deine Jacke an, zahlst und gehst." Auf der Bühne spielt der Chor beides, den enthemmten Mob und die verzweifelten Dresdner, die das Gefühl haben, ihre Stadt und ihr soziales Umfeld verloren zu haben.

Es ist unheimlich, diese Texte mit ihrer immer schrilleren Steigerungsrhetorik als choreografiertes Crescendo des Hasses vorgesetzt zu bekommen. Und man kann es beim Zusehen nicht fassen, dass die sächsische Landespolitik und der Dresdner Bürgermeister sich seit einem Jahr vor diesem Frontalangriff auf alle demokratischen Strukturen einfach kleinmütig wegducken.

Die Profi-Schauspieler steigen immer wieder aus ihren "Öderland"-Rollen aus, sie scheinen es kaum zu ertragen, dass sie ihren Protest "nur" hier, im ästhetischen Raum, ausleben können. Jeder von ihnen tritt irgendwann nach vorn und hält einen improvisierten Monolog, der direkt ans Publikum gerichtet ist. So etwas wirkt oft peinlich, hier erscheint es fast folgerichtig, so spannungsgeladen ist die Atmosphäre.

Volker Lösch sitzt nach der eindrucksvollen Hauptprobe in der Kantine und fragt sich: Reicht das? Was kann Theater in solchen Zeiten noch leisten? Wenige haben ähnlich radikal wie er versucht, das Theater für die Wirklichkeit da draußen zu öffnen. Trotzdem wirkt er ehrlich verzweifelt, wenn er sagt: "Wen erreiche ich? Sollte ich nicht eine Flüchtlingsinitiative gründen?"

"Morgenland" - ein Stück über die, vor denen sich viele so fürchten

Apropos: Was ist eigentlich mit all jenen, vor denen sich die Dresdner auf fast schon psychotische Art und Weise fürchten? Die veranstalten zwei Kilometer weiter, im Kleinen Haus des Staatsschauspiels, ein Quiz: "Bei uns in Syrien dürfen Männer vier Frauen heiraten. Richtig oder falsch?" Das Publikum stimmt ab, die meisten denken: Kann doch nicht sein, aber die Antwort lautet: Richtig!

"Morgenland" ist ein Stück über die, die jetzt plötzlich hier sind. Der Palästinenser Ibrahim Qadi, der Ägypter Diaa Soliman, die Tunesierin Yesmine Trigui, sie alle sind hier in Sachsen gelandet, Trigui mit einem Promotionsstipendium, Soliman, weil er mit einer Deutschen verheiratet ist, Qadi als Flüchtling. Miriam Tscholl, die Leiterin der Dresdner Bürgerbühne, erarbeitet mit ihnen ein Stück über ihre arabische Heimat, mal als Alltagsquiz, mal mit nachgestellten Szenen aus ihrem Leben: Was haben sie gespielt als Kinder? Was für Probleme tauchen auf, wenn man mit einem stark patriarchalischen Männerbild eine deutsche Frau heiratet? Und wie ist es, als 17-jähriger Syrer erstmals in Sachsen fernzusehen? "Da waren Leute in einer Kleinstadt. Die demonstrieren für Falafel? Nee, Moment, so hasserfüllt, wie die schauen, wollen sie Falafel verbieten." Es waren Aufnahmen aus Freital, eine aufgebrachte Meute, die sich gegen ein Flüchtlingsheim wehrte und anscheinend skandierte: "Wer Freital nicht liebt, muss Freital Falafel." Das Wort "verlassen" kannte er noch nicht.

Miriam Tscholl wollte dieses Stück machen, weil auch sie sagt, man müsse mittlerweile einfach Stellung beziehen, die Stadt kippe weg, Demokratie sei etwas, für das alle kämpfen müssten. Da sie hier zusammen mit der Schauspielerin Olga Feger und vielen Kollegen jeden Montag eine Anlaufstelle für Geflüchtete betreibt, habe es nahe gelegen, mit arabischen Dresdnern eine Art Vorstellungsstück zu erarbeiten, "weil wir ja alle keine Ahnung haben von arabischer Kultur. Oder kennen Sie irgendeinen Musiker oder Dichter aus Syrien?"

Schöner, kreativer als die elf Laien in "Morgenland" kann man nicht anspielen gegen Vorurteile. Aber in das Kleine Haus passen 90 Leute. Auf den Theaterplatz 15 000. Am Samstag hat Volker Löschs "Öderland/Wir sind das Volk" Premiere. Am Sonntag "Morgenland". Am Montag steht dann wieder Pegida auf Dresdens schönstem Platz und nimmt eine ganze Stadt und ihre Geschichte in Geiselhaft.

Pegida in Dresden: Deutschland wird sich verändern, wenn Hunderttausende neu hinzukommen. Aber was ist das - deutsch? Darüber debattieren Deutsche aus Ost und West, Wissenschaft und Praxis in dieser Serie. Heute: der Soziologe Stephan Lessenich.

Deutschland wird sich verändern, wenn Hunderttausende neu hinzukommen. Aber was ist das - deutsch? Darüber debattieren Deutsche aus Ost und West, Wissenschaft und Praxis in dieser Serie. Heute: der Soziologe Stephan Lessenich.

Serie
Was ist deutsch?

Die Serie "Was ist deutsch?" behandelt Facetten und aktuelle Fragestellungen deutscher Identität. Erschienene Artikel:

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: