Süddeutsche Zeitung

Theater:Die Welt ist zum Verzweifeln lustig

Das Inszenierungsprogramm endet mit dem "Unendlichen Spaß" von David Foster Wallace.

Von Egbert Tholl

Auf den ersten Blick wundert man sich ein bisschen, was diese Produktion beim Brecht-Festival verloren hat. Von David Foster Wallace fallen einem keinerlei Äußerungen ein, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Augsburger Dichter stehen. Warum also der "Unendliche Spaß"? Natürlich, als Festivalmacher freut man sich sicherlich über eine grandios besetzte Produktion, die seit ihrer Berliner Premiere im Februar vergangenen Jahres auf Tour ist und die man deshalb auch nach Augsburg umleiten kann. Zum Berliner Theatertreffen wurde die Inszenierung von Thorsten Lensing auch eingeladen, lange nachdem sie Patrick Wengenroth für Augsburg gebucht hatte.

Eine der tollen Leistungen von Wengenroth als Festivalleiter ist, den Umgang mit Brecht nicht allein aus dessen Werk heraus zu denken, sondern die Diskurse, die dessen Werk durchziehen, in weiteren Zusammenhängen von unterschiedlichen Künstlern weiterführen zu lassen. In diesem Jahr war Karen Breece mit ihrer Produktion "Auf der Straße" vom Berliner Ensemble zu Gast und zeigte anhand von Wohnungsnot die krasse Diskrepanz zwischen Reich und Arm in Deutschland auf - klassisch Brecht, könnte man dazu sagen. She She Pop taten mit "Oratorium" Ähnliches, das Theter Ensemble umkreiste mit Rainer Werner Fassbinder gesellschaftliche Abstiegsängste. Brecht ist, wenn man seine Hinterlassenschaft ernst nimmt, viel mehr als ein Chansonabend eines (alternden) Stars oder das literarisch wertvolle Monologisieren großer Tragöden. Wenn man Brecht nicht politisch begreift, dann muss man sich mit ihm überhaupt nicht auseinandersetzen - Dekoware fände man fürs Theater genug, das bräuchte dann nicht Brecht sein. Wengenroths Auswahl geht auch ästhetisch weit über eine bürgerliche Wohlfühlberieselung hinaus, die Bertolt Brecht mit Sicherheit nie im Sinn hatte. Man muss beileibe nicht von allen Produktionen des diesjährigen Festivals begeistert sein, aber man muss sie anerkennen als Unternehmungen, Brecht nicht einfach ins Museum zu stellen oder im Bücherregal zu belassen. Dessen Themen sind heute so dringlich wie zu der Zeit, als er sie aufschrieb.

Bleibt aber immer noch die Frage, wie da der "Unendliche Spaß" dazupasst. Brecht schrieb nie eine Utopie, Wallace schon. In den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entwarf er auf 1500 Seiten eine nahe Zukunft, die bei ihm etwa im Jahr 2009 spielt und inzwischen nicht nur kalendarisch in weiten Teilen längst von der Gegenwart eingeholt wurde. Ein Kern dieses überbordenden Zukunftsszenarios ist eine Tennisakademie, in der die amerikanischen Supersportler von morgen so zu perfekten Funktionstierchen gedrillt werden, dass sie es ohne Drogen kaum aushalten. Die Kehrseite liegt sozusagen im Keller dieser Akademie in Gestalt einer Drogenklinik, in der die landen, bei denen es mit dem Funktionieren nicht so gut geklappt hat. Drumherum gibt es den Schaum von tausenderlei Einfälle, die den Roman, der dann 2009 in der fabelhaften Übersetzung von Ulrich Blumenbach auf Deutsch erschien, vor allem zu einem sprachlichen Ereignis machen. Der "Unendliche Spaß" taugt nicht für eine auch nur annähernd konzise Wiedergabe seines Inhalts; tatsächlich hat man den Eindruck, jeder der Rezensenten im Jahr 2009 habe, bis auf wenige Überschneidungen, ein anderes Buch gelesen.

Auch eine Theateradaption wie diese, die letztlich mit vier Stunden viel zu kurz ist, kann nur einen winzigen Ausschnitt wiedergeben. Lensing entscheidet sich dafür, zumindest bis zur Pause nach zwei Stunden den Titel sehr wörtlich zu nehmen. Ja, die Aufführung ist ein Spaß, aber endlich, sie ist eine Revue einzelner Nummern, meist Solo- oder Zweierszenen, dargeboten von den grandiosen Akteuren Devid Striesow, Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi, Jasna Fritzi Bauer und Heiko Pinkowski. Alle haben (viel) Theatererfahrung, alles sind Fernsehstars. Und alle pflegen ihre Marotten, was ihnen Lensing offenbar in der weisen Erkenntnis zugestand, dass man diese Supertiere ohnehin nur mit einer fundierten Idee domestizieren könnte. Statt eine solche in Absentia zu verfolgen, pflegen Striesow und Blomberg den erlesenen Wahnsinn freilaufender Rampensäue, die sich für keinen Ulk zu schade sind, Ursina Lardi brilliert vor allem in ihren kleineren Rollen und lächelt unerschütterlich. Jasna Fritzi Bauer findet nicht so richtig statt, weil sie meist einen Schleier vorm Gesicht hat, Heiko Pinkowski erschüttert mit Urgewalt. Aber jede der vielen Litaneien der Entrüstung ist nichts gegen André Jung, wenn er grenzenlos berührend den behinderten Bruder der Hauptfigur spielt. Da Lensing in seiner Szenenauswahl vieles von Wallaces harter politischer Schärfe ausklammert, berührt am Ende das Private. Das ist dann vielleicht nicht Brecht, aber gut.

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SZ vom 05.03.2019
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