Mann oder Frau? Das ist die erste Zuordnung, die Menschen unbewusst treffen, wenn sie jemanden sehen. So sind wir (noch) sozialisiert. Wenn diese Frage sich nicht klären lässt, sorgt das für Irritation - und nicht selten für Aggression: Dass etwas Uneindeutiges existiert, führt ja die Beschränktheit des eigenen binären Denkens unangenehm vor Augen. Brisanz erhält die Frage "Mann oder Frau?" dadurch, dass politische und vor allem wirtschaftliche Macht nach wie vor größtenteils in Männerhand liegt. In den Vorständen der Dax-Unternehmen sitzen nur 9,4 Prozent Frauen. Dem liegt ein irrationales Zusammendenken von Gender und Kompetenz zugrunde. Diesem Mechanismus spürt der Schweizer Dramatiker und etablierte Lieblingsprovokateur der Feuilletons, Lukas Bärfuss, in seinem neuen Stück nach: Die Trans-Groteske "Frau Schmitz" in der Regie von Barbara Frey erntet am Schauspiel Zürich einige Lacher, viel mehr aber nicht.
Tatort ist ein global -und souverän am Rande der Legalität agierender Konzern. Bärfuss führt ihn mit gewohnter Schärfe als gut geölte Kapitalvermehrungs-Maschinerie vor. Jede menschliche Regung basiert hier auf Kalkül. So auch das plötzliche Interesse an Kollegin Schmitz, einer unauffälligen Person im Plisseekleid, gespielt von Friederike Wagner. Frau Schmitz ist eine Transfrau, also biologisch ein Mann, der aber als Frau lebt. Das wird zum "Unique Selling Point": Für Verhandlungen mit einem Subunternehmer wird ein echter Kerl gesucht, denn im dezent rassistischen Stereotypen-Katalog des Chefs (Markus Scheumann) und der Personalerin (Carolin Conrad) mag "der Pakistani" keine Frauen.
Schmitz fügt sich, hat Erfolg und beschließt, im Beruf weiter als Mann aufzutreten. Das gibt Ärger. Kollegen wittern Konkurrenz, ihr Verehrer - oder besser: Stalker - Julius (Milian Zerzawy) fühlt sich verraten. Schmitz wird zur Projektionsfläche für Ressentiments einerseits und für irre Flexibilisierungs-Fantasien des Chefs andererseits. Es folgen klamottige Klamottenwechsel, bis Julius Frau Schmitz auflauert und ihr brutal das Gesicht zerschneidet. Kurz bricht die Realität in die Welt der durchkonstruierten Wirtschaftskomödie ein: Erst im Mai meldete das Berliner Projekt "Maneo" einen Anstieg tätlicher Übergriffe auf Homosexuelle und Transgender.
Doch Bärfuss legt lieber weiter Grotesken-Futter nach. Die endlich zur Frau umoperierte Frau Schmitz lässt nach der Tat ihr Gesicht vermännlichen, damit die Narbe stimmig wirkt. Hier übernimmt plötzlich Lambert Hamel die Rolle, was in den unmotiviert ausplätschernden letzten Szenen aber keine neuen Erkenntnisse bringt.
Die Zürcher Intendantin Barbara Frey setzt in der Uraufführung stark auf die Sprache. Wer redet, wird auf seinem Stuhl angestrahlt, nur gelegentlich treten Figuren an die Rampe. Dennoch gerät das Spiel oft in einer Weise komödiantisch, die sexistische Klischees eher reproduziert als entlarvt. Bärfuss diagnostiziert der Wirtschaft eine wahnhafte Fixierung auf Wandel als Selbstzweck. Dieses Problem anhand von Genderfragen zu erzählen, wo bis heute starre Zuschreibungen dominieren, geht trotz netter Überraschungsmomente nicht auf.