Theater:Die Schichten des Lebens

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Wie die Teilnehmerinnen des feministischen Theaterprojekts "Magdalena München" die Blicke auf sonst kaum sichtbare Mitglieder der Gesellschaft richten

Von Sara Maria BehBehani, München

So Vieles geschieht in unserer Gesellschaft im Verborgenen: Verbrechen, Vergewaltigungen, Leiden, an denen Menschen zerbrechen. Auch diplomatische Verhandlungen finden an solchen Orten statt. Und selbst die Liebe braucht hin und wieder einen unsichtbaren Ort. Manchmal verbergen sie vor der Öffentlichkeit, was dringend gehört und gesehen werden müsste.

Kordula Lobeck de Fabris, Regisseurin und Theaterpädagogin aus Wuppertal, macht mit Ausstellungen und Installationen diese "Unsichtbaren Orte" zum Thema. Sie sind Teil der "Magdalena München Saison", die an diesem Mittwoch zu Ende geht. Vom 2. Februar an haben beinah 40 Künstlerinnen aus 15 Ländern mit Theater, Performances und Workshops in und um München herum, an Spielstätten wie dem Theater HochX, dem Klohäuschen, dem Meta Theater bei Grafing oder dem Pathos Theater auf diese Orte hingewiesen und sie sichtbar gemacht.

1986 in Wales von Jill Greenhalgh gegründet, setzt sich das Magdalena-Projekt für die Gleichberechtigung von Frauen im Theater ein. Aber auch dafür, wie bei Kordula Lobeck de Fabris im Besonderen, das Unsichtbare in der Gesellschaft sichtbar zu machen. So hat Lobeck de Fabris in München zwei Ausstellungen, die unter dieser Überschrift standen, entworfen und sie im Pathos Theater gezeigt.

Die erste widmete sich jungen Geflüchteten aus Afghanistan, die in der Zusammenarbeit mit Lobeck de Fabris ihrer Situation und Stimmung Ausdruck verliehen. Dabei entstanden Bilder, auf denen jeweils ein Foto aus ihrer Vergangenheit mit einem ihrer Gegenwart verschmolzen. Kraftvolle Intensität und berührende Poesie prägten die Exponate. Mit den Bildern, Videos oder Gedichten der Installation wurden Einzelpersönlichkeiten sichtbar, die sonst leicht hinter dem allgemeinen Status "Flüchtling" verloren gehen. Sie sprachen von ihren Träumen, von ihrer Sehnsucht nach Heimat, Familie und Frieden, aber auch von den Zielen, die sie in Deutschland haben. "Unsichtbar zu sein, heißt, dass man an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, dass man keine große Rolle spielt, dass die Gesellschaft gewisse Teile ausblendet, tabuisiert und nicht bespricht, obwohl sie eigentlich die Verpflichtung dazu hätte", sagt Lobeck de Fabris. Diese Teile ins Licht zu rücken, darum geht es ihr.

Ihre zweite Ausstellung zeigte unsichtbare Orte, die für Frauen in der Kunst eine Rolle spielen. Darin ging es um Rollen in der Gesellschaft, die Menschen annehmen und dahinter unsichtbar zurückbleiben. Ebenso thematisiert wurden Einsamkeit, Verzweiflung und Menschen, die keine Kraft mehr haben, um aus eigenen Stücken auf ihre Lebensschwierigkeiten aufmerksam zu machen.

Auch Gewalt gegen Frauen war immer wieder Gegenstand der Magdalena München Saison. Helen Varley Jamieson, die künstlerische Leiterin des Projekts, ist mit dem Verlauf sehr zufrieden, und in ihrer Stimme klingt Stolz mit, wenn sie zurückblickt. Nur ein Wermutstropfen bleibt für sie bestehen: "Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass wir es nicht geschafft haben, ein größeres Publikum anzuziehen", gibt sie zu. Dennoch: "Die Rückmeldungen des Publikums waren durchweg sehr gut, die Menschen waren beeindruckt.

Besonders beeindruckend war eines der Theaterstücke, die im HochX gezeigt wurden. Gilla Cremer erzählte in "Meeresrand" von Véronique Olmi die Reise einer alleinerziehenden, unter Armut, Depressionen und Angststörungen leidenden Mutter, die mit ihren Kindern ans Meer fährt. Cremer steht dabei auf einer schwarzen, leeren Bühne. Sie zeigt sehr berührend eine Frau in ihrer tiefsten Verzweiflung und ihrem größten Schmerz. Längst hat sie nicht mehr die Energie, sich um ihre Kinder zu kümmern, die sie doch liebt. In ihrer Verzweiflung drückt sie den Kleinen das Kissen aufs Gesicht, bis sie sich nicht mehr rühren.

Aufgewühlt saßen die Zuschauer in ihren Reihen, lauschten ihr, ihrer Verzweiflung. Sie begleiteten Cremer in ihren Abgrund, bis zum Schluss, bis sie eigentlich nicht mehr zuhören mochten, sich am liebsten die Ohren zuhalten wollten und es doch nicht konnten. So warf auch Gilla Cremer einen Blick auf die Armen, die nicht dazu gehören, die gar nicht erst gesehen werden und wenn doch, dann als Fremdkörper behandelt werden. Es ist ein wichtiger Kampf, den das Magdalena Projekt da kämpft. Bis er gewonnen sein wird, bleibt vieles zu tun. Auf die Frage, was das ist, antwortet Kordula Lobeck de Fabris leise: "Man muss gucken wollen."

© SZ vom 25.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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