Süddeutsche Zeitung

Theater:Die Reise auf der Klangspur

An jeder Straßenecke lauert hier die Bestimmung: David Marton inszeniert an den Kammerspielen Jack Kerouacs Beat-Roman "On the Road"

Von Egbert Tholl

Die Entstehung ist Legende. Zwischen dem 2. und dem 22. April 1951 schrieb Jack Kerouac seinen Roman "On the Road" auf eine 40 Meter lange Rolle aus zusammengeklebtem Zeichenpapier, die heute Hunderte Seiten in verschiedenen Buchausgaben ergibt - darunter eine domestizierte und ein wenig ungelenk ins Deutsche übertragene Version, deren Neuübersetzung und eine sogenannte "Urfassung". Aber, das sagt auch David Marton, was heißt schon Urfassung, wenn einer jahrelang Tagebücher und Notizzettel sammelt und diesen Berg dann in drei Wochen abarbeitet. Oder umarbeitet, vom Berg zur Rolle. Kerouacs Freunde wussten, dass er seit spätestens 1948 an dem Roman arbeitete. Die Freunde stehen auch drin in dem Buch, Allen Ginsburg etwa, die "Beat Generation", deren Handlungsanleitung Kerouac hier schrieb.

Mit der Rolle ging Kerouac zu seinem Verleger, sagte, das Ganze habe ihm der Heilige Geist diktiert, und man könne bitteschön kein Wörtchen daran ändern. Das jedoch machte er dann selbst, er arbeitete weiter daran, bis 1957, da erschien "On the Road" endlich, geglättet um manches, was damals für pornografisch gehalten werden konnte, verschleiert dort, wo real existierende Personen sich erkennen und beleidigt fühlen könnten. Ist es auch Literatur, so ist es halt auch erlebt: Der Roman ist die Reise von Kerouac und Neil Cassady zu den Freunden, den Träumen, den Mädchen. Kerouac: "Das Buch handelt von zwei Typen, die nach Kalifornien trampen auf der Suche nach etwas, das sie eigentlich nicht finden, die aber sich selbst auf der Straße verlieren und den ganzen Weg zurückfahren voller Hoffnung auf etwas anderes."

David Marton: "Ich komme aus einem komplett konträren Milieu, einer osteuropäischen Intellektuellenfamilie, in der Musik von der Kindheit an dazugehörte." Marton bringt zur Saisoneröffnung der Münchner Kammerspiele Kerouacs Roman auf die Bühne des Schauspielhauses. Marton wurde 1975 in Ungarn geboren, ist ausgebildeter Pianist, studierte Regie und Dirigieren, machte Theatermusik für Regisseure wie Marthaler oder Castorf und begab sich auf die Suche nach einer eigenen Form der Musikalität im Theater. Im Rahmen dieser Suche bescherte er den Kammerspielen in der ersten Spielzeit von Matthias Lilienthal zwei Opernabende, eine prächtige "Sonnambula" und einen eher sperrigen "Figaro". Danach nahm er ein Jahr Auszeit, um nun mit Kerouac zurückzukehren. Nicht sein erstes Sabbatical übrigens; solches nicht zu tun hielte er für unverantwortlich seiner Arbeit gegenüber.

Marton ist kein Regisseur, der fünf, sechs Produktionen im Jahr runterreißt. Höchstens drei. Am liebsten inszeniert er Dinge, die ihn "interessieren und berühren". Wie gelingt dies bei einem Buch, das vor 60 Jahren erschien und den Ausbruch aus einer konservativen Welt beschreibt, während "wir in einer künstlerisch, politisch, gesellschaftlich extrem zersprengten Welt leben"? Martons Beschreibung für den Moment der Berührung ist schön: "Berühren heißt nicht Rührung, sondern entsteht, wenn man in einem Text herumgeht und dieser kein fremdes Land ist, sondern man das Gefühl hat, eine Ecke zu kennen, schon einmal dort gewesen zu sein. Dazu kommt dann die Reise irgendwohin, wo man noch nicht war." Darüberhinaus erreicht ihn der Roman, weil er authentisch, also erlebt ist. Aber halt doch ein Roman.

Natürlich spürt man den zeitlichen Abstand. Vor allem im Umgang mit den Frauenfiguren; während der Ich-Erzähler, also Kerouac, verliebt in die Liebe sei und etwas "Heiliges im Verhältnis zu Frauen habe, selbst im letzten Puff in Mexiko", schmeißt Cassady eine nach der anderen weg. Kommt Cassady in eine neue Stadt, schaut er erst einmal, wo er ein Mädchen zum Flachlegen findet, viel anders kann man das nicht sagen. Die beiden Frauen in Martons Ensemble amüsieren sich darüber, allerdings besitzen Julia Riedler und Jelena Kuljic auch einfach das Potential für dieses Amüsement. Indes Kerouac, die Liebe und das Mädchen: "Wir lagen auf dem Rücken, sahen an die Decke und fragten uns, was sich Gott dabei gedacht hatte, das Leben so traurig und hässlich zu machen."

Marton: "Es geht um die Suche nach einem heiligen Zufall. Das ist keine gut gelaunte Hippie-Reise, die lauern an jeder Straßenecke auf eine Bestimmung." Kerouac, wie er sich hier in der Erzählerfigur selbst beschreibt, könnte ein geregeltes Leben haben. Er hat ja eine Sehnsucht nach einem bürgerlichen Rahmen. "Aber wenn er den findet, kann er damit nichts anfangen und es drängt ihn wieder an die Peripherie. Er beschreibt gleichermaßen eine Suche wie eine Flucht." Aus diesem Grundwiderspruch zwischen Freiheit und Bindung landet man bei der Musik. Beim Jazz. Kerouacs Sound ist Jazz. Bebop. Charlie Parker, Notation und Improvisation. Martons Sound ist der, den die Jazzmusiker in seiner Inszenierung machen, Musiker, die er seit mehr als zehn Jahren kennt und die "keine Form von Jazz spielen, die klar zu einer Gattung gehört. Es ist viel Improvisation in Verbindung mit Texten."

Bei Bellinis "Sonnambula" sei für Marton, der in Lyon auch ganz normal Oper inszeniert, die Frage gewesen, wie man mit der Form der Oper in Theaterräumen wie dem Werkraum und der Naivität einer Belcanto-Oper umgehe. Bei Kerouac gehe es nicht um die Bearbeitung eines Werks, eher um die "Aneignung bestimmter Stellen", manche ganz ohne Musik, manche mit, Wort und Klang im Gegen-, Neben-, Miteinander, angereichert mit den persönlichen Bezügen, mit Autobiographischem der Mitwirkenden - "das ist ja kein Schulaufsatz über Kerouac". Und sei auch kein Abend über Amerika, "die Zeiten liegen wie durchsichtige Folien aufeinander".

In diesen Schichten findet er, so kann man vermuten, Erinnerung an Menschen, vielleicht auch an seine Heimat Ungarn, die er mit 19 verließ. "Interpretation von etwas Gegebenem ist wahnsinnig überbewertet. Wichtiger ist viel mehr: Wie verbindet man sich mit etwas Gegebenem?" So ist ihm am Theater der Applaus auch weniger wichtig als die Arbeit an der Inszenierung, das Entdecken. Geht Marton in einer Stadt oft den selben Weg, versucht er sich vorzustellen, er gehe diesen Weg in einer Stadt, die er gar nicht kennt. Und sieht auf einmal das Vertraute am Weg ganz neu.

On The Road, Premiere, Do., 28. September, 10 Uhr, Kammer 1

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Quelle:
SZ vom 28.09.2017
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