Süddeutsche Zeitung

Theater:Die Lehrzeit vor den Jubeljahren

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Aus Joachim Meyerhoffs Buch über die Schauspielausbildung an der Falckenberg-Schule macht Gil Mehmert am Metropoltheater ein temporeiches Stück

Von Michael Zirnstein

Der größte Schauspieler des Landes ist kniehoch. Er hängt an Fäden. An denen zieht einer, der die gleichen Turnschuhe und den gleichen Strick-Sweater trägt und der genauso mittelgescheit(elt) in die Welt schaut wie die Marionette. Er rechnet damit, ja hofft insgeheim, von der Falckenberg-Schauspielschule zu fliegen, aber deren zappeliger Leiter will es "noch mal zusammen versuchen". Auch recht. Der Bursche hat sein Leben nicht in der Hand, noch nicht. Und da denkt der Zuseher an einen Film: "Being John Malkovich", bei dem ein Puppenspieler Kopf, Körper und Leben des Hollywood-Mimen übernimmt und mit einer Marionette als Mini-Me zum Star wird.

Wer spielt hier eigentlich wen? Das ist der schöne Hirnwirbel bei "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" im Metropoltheater. Eigentlich ist dies der dritte Teil der (bislang) vierteiligen Autobiografie von Joachim Meyerhoff, welche der Schauspieler selbst bereits als Solo-Show am Burgtheater in Wien aufgeführt hat. Ein Grundschüler könnte aus dem Buch über die Lehrjahre des Mimen in München und seine Wohngemeinschaft mit den Großeltern in einer Nymphenburger Villa vorlesen, es wäre eine Schau! Es ist Satire wie Lehrstück über das Theater als Metapher fürs Leben.

Was also kann Gil Mehmert dem klug beobachteten Irrsinn am Metropoltheater hinzufügen? Der im Ruhrpott geborene, an der Everding-Akademie ausgebildete Regisseur kann raffen, das hat er etwa in seiner Adaption des 800-seitigen "Jenseits von Eden" für die Schauburg" gezeigt; er hat ein großes Herz auch für Außenseiter wie im Musical "Wahnsinn" voller Wolle-Petry-Schlager, das im Mai ans Deutsche Theater zurückkommt; er setzt auf Musik, auch wenn er bei der "Lücke" allein Stefan Noelle an den Percussions jazzig rumpeln lässt; ja, da ist Rhythmus drin: Mehmert hat ein Timing im Sketchhaften fast wie Billy Wilder; überhaupt inszenierte er auch mit minimalen Mitteln cineastisch - diesmal lässt er den Vorhang vor- und zurückgleiten wie Hitchcock den Bildhintergrund bei Zooms auf geschockte Gesichter. Kurz: der richtige Mann für "Being Jockl Meyerhoff".

James Newton spielt darin Meyerhoff. Falsch, das wäre ja Wahnsinn. Er spielt einen, der erzählt, wie er spielen lernt, und das mehr schlecht als recht. Oder, wie die russische Gast-Regisseurin ihn anmault: "Dein Körper ist dir ein Rätsel!" Newton macht sich zu diesem "großen Haufen Ungeschicklichkeit" - im Zickzack zwischen Mitspielern und Publikumsansprache. Dass das Metropol-Ensemblemitglied erst vor zehn Tagen gebeten wurde, für den erkrankten Tillbert Strahl einzuspringen und zwei Stunden Text zu lernen, zeigt, dass Schauspielschulen (bei ihm die Everding-Akademie) einen durchaus auf den Job vorbereiten. Das lustige Lücke-Stück wirkt wie die dort geschätzten Impro-Übungen: Ruckzuck springen Newtons sechs Mitspieler von Rolle zu Rolle - vom Juror zur Mitschülerin in den Chor zum sprechenden Tier. Letzteres eine dieser enthemmenden Aufgaben, bei der Joachim als Nilpferd-Effie-Briest versagt. Lucca Züchner kann wieder alles, von der Häkeldecken-erotischen Gesangslehrerin zur Diven-Großmutter Inge mit steifem Bein, die sich im clownesken Duo mit ihrem Herrmann die Tage erträglich trinkt. Den Philosophen-Tattergreis spielt wie auch den strammen Aikidolehrer Thorsten Krohn, der als österreichelnder Hexen-Sex-Trainer bei der Walpurgisnacht-Probe am meisten an den leibhaftigen Meyerhoff erinnert. Wie aus dem (hier etwas zu) sympathischen leidenden Loser der nun 52-jährige Bühnenberserker wurde, ist das Wunder, das sich auch im Stück erst andeutet: Irgendwann lassen Spieler und Marionette die Fäden los und sich gehen.

Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke ; Dienstag bis Samstag, 5. bis 9. Feb., 20 Uhr, Metropoltheater, Floriansmühlstr. 5

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SZ vom 02.02.2019
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