Theater:Die Frau, die Maske und der Tod

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Inspiration für die Inszenierung ist diesmal auch die Ästhetik der Manga-Comics. (Foto: Judith Buss)

Susanne Kennedy bringt Jeffrey Eugenides' Roman "The Virgin Suicides" - auf Deutsch: "Die Selbstmord-Schwestern" - ins Schauspielhaus der Kammerspiele

Von Egbert Tholl

Vielleicht ist es ganz hilfreich, mit dem Ende des Gesprächs zu beginnen. Am Ende der Begegnung in der Kantine der Kammerspiele erzählt Susanne Kennedy vom Gastspiel ihrer Inszenierung "Warum läuft Herr R. Amok?" in São Paulo. "Die Leute haben gebrüllt vor Lachen." In München haben viele auch geächzt während der Aufführung, die 2014 an den Kammerspielen herauskam und zum Theatertreffen eingeladen wurde. Nicht wenige Zuschauer waren verstört, weil der Text nur über Playback zu hören war und die Gesichter der Schauspieler hinter entindividualisierenden Masken verschwanden. Es war bizarr und großartig.

Drei Inszenierungen lieferte Kennedy inzwischen an den Kammerspielen ab, "They Shoot Horses", "Fegefeuer in Ingolstadt" und eben den "Herrn R.". Bei "Fegefeuer in Ingolstadt" tauchte zum ersten Mal die Entfremdung mittels Playback auf. Was wie ein konzeptueller Ansatz wirkte, kam, so erzählt sie jetzt, als Idee nach vier Wochen Probe auf. Dann hatte sie eine schlaflose Nacht - und entschloss sich, konsequent zu sein. Ihr erster Gedanke war noch gewesen: "Das kann man im Theater nicht bringen." Aber sie brachte es doch. Einige der Schauspieler mussten da erst einmal schlucken, nein sagte keiner.

Susanne Kennedy stammt aus dem Alemannischen, ist Ende 30 und auf der Suche. Dass sie den Ton vom Sprecher trennt, dass sie die Gesichter hinter Masken versteckt - am abgründigsten, psychotischsten und treffendsten in ihrer grandiosen Inszenierung von Monteverdis "Orfeo" bei der Ruhrtriennale - ist keine Spinnerei. Sondern Ausdruck einer Sehnsucht nach Kraft, nach etwas Urmenschlichem. So vermeidet sie auch den Begriff "Künstlichkeit", schließlich könne Naturalismus ebenso künstlich sein.

"Virgin Suicides", der Roman von Jeffrey Eugenides, den Kennedy nun im Schauspielhaus der Kammerspiele inszeniert, wirkt wie für sie geschrieben. Ein Vorort in den USA. Die Familie Lisbon hat fünf Töchter. Als sich die jüngste umbringt, beginnt das Jahr der Selbstmorde, das am Ende keines der Mädchen überlebt. Davor zieht sich die Familie ins Haus zurück, verschwindet aus der Öffentlichkeit. Spekulationen kommen auf, eine Gruppe Jungs beobachtet die Mädchen, aus Neugierde am Fremden, aus aufkeimenden sexuellen Interesse. Eugenides schrieb den Roman aus Sicht einer dieser Jungs, viele Jahre nach den Ereignissen, eine Spurensuche. Eine Fülle von Erklärungen für das Verhalten der Lisbons liefert er verspielt spekulativ auch, Susanne Kennedy glaubt nichts davon.

Muss sie auch gar nicht. Sie will nicht den Roman nacherzählen, sondern ein existenzielles Gefühl schaffen, die Möglichkeit untersuchen, was ein Ritual auf dem Theater ist. Am Roman interessieren sie die Beobachter, die Jungs, die Beweisstücke wie Reliquien sammeln. Lebende, die die Toten nicht loslassen können. Vielleicht ist es auch anders herum.

"Was ist das, dass wir immer wieder aufs neue auf der Bühne Figuren brauchen, die uns irgendwo beißen, die wie Medea ihre Kinder töten. Jetzt wird wieder gestorben - und wir schauen zu." Sie denkt nach über das Theater als Ort, wo man zusammenkommt, wo man still im Dunkeln sitzt, wo man mit sich selbst konfrontiert ist. "In der Kunst setzt man um, was man im Leben sucht." Susanne Kennedy meint, würde sich ihre Wahrnehmung von Welt außerhalb des Theaters von der des Theaters unterscheiden, wäre sie keine Künstlerin. Was angesichts der Wahl ihrer Stoffe, auch angesichts der nun anhand der Struktur des Tibetanischen Totenbuchs ausgebreiteten Tode zu der Frage führt, wie gut es ihr geht.

Nein, das geht jetzt zu weit. Susanne Kennedy ist ein sehr freundlicher, schöner, ungeheuer offener Mensch, der viel denkt. Dann sagt sie so Sachen wie: "Natürlich glaube ich, dass wir in einem System leben, das krank macht. Aber wir haben viele eigene Kräfte, um unser Leben zu gestalten. In diesem Paradox halten wir uns auf." Nun, da kann man zu einem anderen Paradox kommen, was sie grinsend vorausahnt. Kennedy wird von Herbst an an der Berliner Volksbühne arbeiten, wenn dort Chris Dercon Intendant wird. Schleicht man sich nun mit der Frage an sie heran, was sie dort als Theaterfrau im "Künstlerbeirat" will, meint sie: "Man kann ja gar nichts darüber sagen, ohne dass sich alle die Köpfe einschlagen." Die Formulierung "Künstlerbeirat" entstand übrigens im Gespräch und ist nur eine Annäherung.

Und dann noch als Information für die Kammerspiel-Besucher: Ja, es gibt Masken (im Manga-Stil), Playback, ein echtes Gesicht. "Und viele werden wieder aufstöhnen". Sagt sie mit einem Lächeln.

The Virgin Suicides, Premiere 30. März, 20 Uhr, Schauspielhaus der Kammerspiele

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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