Der große Max Reinhardt war Else Lasker-Schülers erklärter Lieblingsregisseur. So gern hätte die Elberfelder Dichterin es gesehen, wenn der Meister in Berlin ihr Meisterwerk "Die Wupper" inszeniert hätte. Doch daran war nicht zu denken. Lasker-Schüler galt (und gilt) als eine "im Dramatischen genialisch dilettierende Lyrikerin". "Die Wupper": zu verschroben, nicht einzuordnen, nahezu unaufführbar. "Arthur Aronymus und seine Väter": feines Lesedrama, zu viele Kinderrollen, nicht aufführbar. "IchundIch": seltsam verquere Dramaturgie, von Spuren geistiger Verwirrung gezeichnet, ganz und gar unaufführbar.
Aber gerade deshalb muss man es ja wagen! Das 1940/41 in Jerusalem, wenige Jahre vor dem Tod der verarmten Autorin entstandene "IchundIch" bringt nicht allein Max Reinhardt als Regisseur einer Theaterprobe auf die Bühne. Das Stück spielt im sogenannten "Höllengrund", und dieser konkrete Ort meint natürlich auch die allegorische Hölle. Unter anderen treten auf: Faust, Mephisto, Marthe Schwertlein, Hitler, Goebbels, Göring, nicht zuletzt die Dichterin selbst und eine Vogelscheuche, in der man wiederum ein Alter Ego der Lasker-Schüler erkennen mag.
Letztere spielt in den Frankfurter Kammerspielen unter einem bizarren reifenförmigen Hut und mit viel Charme die Schauspielerin Friederike Ott. Die Lasker-Schüler liebte Verkleidungen aller Art und war eine begnadete Performerin - am Schluss ihres Lebens allerdings in einer bedauernswerten Erscheinung.
Diese Hölle ist nicht heiß genug
Die 1988 geborene Wienerin Christina Tscharyiski begreift die Vorlage, die selbst in vielen Werkausgaben nicht enthalten ist, in ihrer aparten Inszenierung als Anlass für ein Schaustück, an dem die Ausstattung von Verena Dengler und Dominique Wiesbauer entscheidenden Anteil hat. Prächtig ist der Kopf der Dichterin mit seinem typischen Pagenschnitt als Skulptur, durch deren Öffnungen Friederike Ott linsen und das im Entstehen begriffene Spektakel begutachten kann. Das feine Granulat, das den Boden bedeckt, ist wohl nur billiger Schaumstoff, auch die farbenfrohen Kulissenmalereien sind allesamt handgemacht. Hier waltet eine entfesselt humoreske Fantasie, wie sie dem überbordend gestalterischen Furor des Textes entspricht.
So schön das alles anzusehen ist, bleibt jedoch das Sujet des Frankfurter Spiels-im-Spiel vage. Faust und Mephisto liefern sich Wortgefechte in derart klappernden gereimten Versen, dass die unfreiwillige Komik dieses Effekts, verbunden mit einer fast naiven Huldigung an Goethe (ein Wunder, dass der nicht auch noch auftritt), die Aufmerksamkeit für den Inhalt der Dispute meistens torpediert. Offenbar möchte der Text den Mephistopheles gründlich rehabilitieren. Die Rolle des "Antichrist und Antijud" tritt der Teufel jedenfalls an Hitler ab. Der Führer und seine Konsorten besuchen die Hölle, um Petroleum zu stehlen. Goebbels, der irritierenderweise viel eher wie Göring aussieht (Uwe Zerwer), flirtet mit Marthe Schwertlein, und wenig später, ohne sichtbar geschmort zu haben, versinken die Nazis allesamt in einer herzförmigen Bodenluke. Peng!
Apropos Teufel. Den gibt es in dieser Inszenierung gleich zweimal, zuerst in einer klassischen Gründgens-Pose (Florian Mania), dann, vorzüglich gespielt von Tanja Merlin Graf, in einer androgynen Variante, gekrönt von einem wunderbaren schneckenförmigen Bocksgeweih. Dass Mephisto für den antifaschistischen Kampf zu gewinnen ist, nimmt für ihn ein, nur fragt sich der Theologe verblüfft: Bekommt man vom Teufel denn etwas ohne Gegenleistung? Lasker-Schüler, die den Text in ihrem nicht unkomplizierten Exil vor Kenntnis des Holocaust geschrieben hat, scheint diese Leerstelle zu übersehen oder zu ignorieren. Die Tendenz zur Idylle, die dem Tatort des Spektakels und den auftretenden Figuren sonderbar widerspricht, lässt nur das Fazit zu: Diese Hölle ist nicht heiß genug.