Süddeutsche Zeitung

Theater:Die Angst ist zurück

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Falk Richters "Je suis Fassbinder" in der Tafelhalle Nürnberg

Von Florian Welle, Nürnberg

Im vergangenen Oktober wirbelte Falk Richter an der Berliner Schaubühne viel Staub auf: In "Fear" polemisierte er gegen die neue Rechte, vor allem gegen deren weibliches Führungspersonal. Die Folge: Eine Strafanzeige und Morddrohungen. Mit "Je suis Fassbinder", im Frühjahr am Théâtre National de Strasbourg uraufgeführt, setzt der erfolgreiche Dramatiker und Regisseur seine Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus fort. Allerdings ist der polyphon gebaute Text dichter und härter, seitenlang gibt es kurze Subjekt-Prädikat-Objektsätze. Und er ist wesentlich komplexer, vermengt eben mal 500 Jahre Weltgeschichte mit den jüngsten Krisen. Das Wichtigste aber: Er holt das Private mit hinein, die Liebe und wie sie in Einsamkeit und Gewalt umschlägt.

Dieser Twist kommt nicht von ungefähr. "Je suis Fassbinder", das jetzt in der Nürnberger Tafelhalle und damit nicht an einem großen Haus, sondern einer Spielstätte der freien Theaterszene seine deutsche Erstaufführung erlebte, versteht sich als Auseinandersetzung mit dem Gemeinschaftsfilm "Deutschland im Herbst" von 1977. Die Episoden von Schlöndorff, Kluge, Fassbinder haben die Schleyer-Entführung, haben Mogadischu und den Selbstmord der RAF-Gefangenen zum Hintergrund. Fassbinders Part, die verschwitzte, koksparanoide Diskussion am Küchentisch mit seiner Mutter Liselotte Eder über die Ereignisse, hat sich ins Gedächtnis gebrannt. Zwischendurch prügelt sich der Filmemacher mit seinem Liebhaber: Das Private ist gefährlich politisch.

Erstaunlich an "Je suis Fassbinder" ist, wie verdammt gut Falk Richters Rückgriff funktioniert. Wie aktuell das plötzlich alles wieder ist. Die Themen mögen andere sein, aber die beklemmende Stimmungslage von damals ist wieder da. Und mit ihr die Angst. "Angst" ist das meistgebrauchte Wort des Stücks. Daraus entsteht der Wunsch nach Sicherheit, Übersichtlichkeit, einfachen Antworten. Fassbinders Episode kulminiert in dem mit einem leisen Lächeln vorgetragenen Wunsch der Mutter nach "einem autoritären Herrscher, der ganz gut ist und ganz lieb". Nichts anderes erleben wir gerade in Ungarn, in Polen und vielleicht bald in den USA. Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Barish Karademir ist der Regisseur, dem Falk Richter "Je suis Fassbinder" anvertraut hat. Karademir ist vieles gelungen: Er hat auf der 70er-Jahre Retrostyle-Bühne junge Schauspieler wie Elinor Eidt und Lukas Kientzler versammelt, die richtig Lust auf den Text haben, ihn changieren lassen zwischen Härte, Verzweiflung und nicht zuletzt Witz. Er lässt ohne Kommentar Videos ablaufen, die für sich sprechen: etwa die Ruinenlandschaften in Syrien, die immer mehr dem Deutschland des Jahres 1945 ähneln. Er arbeitet geschickt mit dem Einsatz von Musik - von zärtlich leise bis brutal laut. Einiges ist aber auch misslungen: Da gibt es einen läppischen Tanz in Burkas, einen verunglückten Moonwalk, und gerne rollt man ziemlich sinnfrei über den Boden. Dabei bedürfte es hier gar keiner offensiv zur Schau gestellten Körperaktionen.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2016
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