Theater:Die Angst der Barbaren

Theater: Der Reifrock als Symbol für den Käfig der Macht und das extrem einengende höfische Ritual: Szene aus „Maria Stuart“.

Der Reifrock als Symbol für den Käfig der Macht und das extrem einengende höfische Ritual: Szene aus „Maria Stuart“.

(Foto: PR/Nationaltheater Mannheim)

Vier Maria Stuarts, fünf Drag Queens im Kongo: Die Mannheimer Theatertage verordnen sich in ihrer 20. Ausgabe das Motto "Fieber".

Von Egbert Tholl

Es beginnt mit einer kurzen Geschichte des Kapitalismus in Afrika: "Im Anfang war der Stein, und der Stein schuf den Besitz und der Besitz den Rausch, und im Rausch kamen Menschen jedweder Gestalt, die schlugen Bahntrassen in den Fels, fertigten ein Leben aus Palmwein und erdachten zwischen Markt und Minen ein System." Dieses System folgt Regeln, eine der wichtigsten lautet: Die Mächtigsten machen die Mächtigen fertig, "die Mächtigen kacken den Schwachen in den Mund" und die Schwachen suchen sich noch Schwächere, um ihnen den Rest zu geben. Man ist bei den Schillertagen in Mannheim, wohnt einer Aufführung des dortigen Nationaltheaters bei, die in einem Club stattfindet, der Disco Zwei. Und wenn man sich fragt, was eine Bühnenadaption von Fiston Mwanza Mujilas Roman "Tram 83" mit Schiller zu tun hat, dann ruft man sich das Motto des 20. Ausgabe des Festivals in Erinnerung, das lautet "Fieber", und damit ist Mujilas Text gut beschrieben.

Seit jeher präsentieren die Schillertage Aufführungen der großen Dramen Schillers, in Eigenproduktionen, in diesem Jahr "Maria Stuart", und in Gastspielen, heuer aus Düsseldorf, Dresden und Köln. Dazu kommt eine weitergehende Beschäftigung mit Schillers Gedankenwelt. Das Nationaltheater gab dafür auch eine Neufassung von Schillers Briefen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" in Auftrag, 27 Beiträge von Literaten und Theaterleuten versammelt das Buch, das den Titel "Immer noch Barbaren?" trägt, ausgehend von Schillers eigenem, fünften Brief. In dem beschreibt er nach der Erfahrung des Scheiterns der Französischen Revolution, dass die Herrschenden in Dekadenz und Machterhalt verharren, die niederen Klassen indes weiter ihren bestialischen Instinkten nachgehen.

In der Disco Zwei empfangen einen fünf (Drag-)Queens mit und ohne Bart, Mitglieder des Mannheimer Ensembles. Sie erzählen von Sex und Gier - "in der afrikanischen Literatur muss gefickt werden, sonst wird wieder nur ein Essay daraus" -, von zwei Freunden, einer ein idealistischer Schriftsteller, der andere der König vom Tram 83, der Bar, dem Puff, dem Drogenumschlagplatz. Mujila, geboren 1981 in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo, entwirft eine hitzige Zukunftsvision eines Afrikas, in dem längst alles Leben nach den Gesetzen des Kapitalismus funktioniert, die Menschen ihre Bedürfnisse abbauen wie die Erze im Boden, ein dubioser General über alles wacht und Touristen sich an der Verkommenheit aufgeilen. Die Sprache ist wie Jazz in einer heißen Nacht, jeder Satz eine Pose, und die Regisseurin Carina Riedl hämmert das Ding mit Macht in den Club, lässt Brahima Diabaté auf dem Balafon, einer Art Marimba, klöppeln, Ray Okpara elektronische Musik auflegen und erhebt den Text zur illusionslosen Metapher, in der die Gespenster des Kolonialismus genauso spazieren gehen wie die Hyänen der heutigen Ausbeutung.

Ganz en passant wurde ein wunderschönes Gebäude von Frei Otto wiederentdeckt

Das hat eine enorme Wucht - wie leider nicht alles an diesem Eröffnungswochenende. Wenn etwa das in Gießen theaterästhetisch sozialisierte Duo von Studio Beisel, Kajetan Skurski und Laurenz Raschke, ihre Adaption der "Räuber" bei einem enervierend ereignislosen Spaziergang durch die Stadt präsentieren, ist das einzig Gelungene daran der Titel: "Moor & More". Die sich zankenden Brüder Moor wollen eine App verkaufen, die die Nutzbarkeit sozialer Medien auf ein lokal begrenztes Minimum reduziert - von der damit zu erreichenden Entschleunigung kündet der Vorgang der Performance selbst.

Schöner, aber auch nicht wirklich von Inhalt überfrachtet ist da die Wiederentdeckung der Multihalle, die 1975 Frei Otto für die Bundesgartenschau in Mannheim schuf. Ein so imposantes wie wunderschönes Gebilde aus Holz mit einer Art Pergamenthaut, das an das Münchner Olympiadach erinnert und das nun Clemens Bechtels Performance "Mannheim 2.480" als Kulisse dient. Im vergangenen Jahr erkundete die Stadt Mannheim mithilfe von fast zehntausend Fragebögen das subjektive Sicherheitsempfinden ihrer Bürger. Das steht im krassen Gegensatz zur realen Situation der stark rückläufigen Kriminalität in der Stadt. Auf jeden Fall wurden daraufhin sogenannte "intelligente" Überwachungskameras installiert, was Bechtel zum Anlass nimmt, dem Publikum von Mitgliedern des Stadtensembles die eigenen Ängste vorführen zu lassen. Angst vor sozialem Abstieg, der Unterschicht, ums Eigenheim. Keine Angst hingegen vor totaler Überwachung, gleichgeschalteten Werten und normiertem Leben. Dabei gelingt Bechtel durchaus Beklemmendes, auch in der finalen Dystopie, dass jeder alles, wirklich alles von jedem weiß.

Die Regisseurin Claudia Bauer war gerade mit ihrer Basler Produktion von Molierès "Tartuffe" in der Neudichtung von Peter Licht zu Gast beim Berliner Theatertreffen, nun inszeniert sie die Mannheimer Eröffnungspremiere, Schillers "Maria Stuart". Sie bleibt sich treu. Das heißt, ein beeindruckend energiegeladenes Ensemble, das ungeheure Freude am reinen Spiel vermittelt, ackert sich durch das Drama, das viel textgetreuer wiedergegeben wird, als es das Programmheft vermuten lässt. Darin stehen vier Elisabeths und vier Maria Stuarts, was auf der Bühne dann partiell auch so stattfindet, aber die Wesen in ihren pastellfarbenen, kubistischen Kostümen spielen die anderen Figuren mit, zugeordnet den jeweiligen Lagern der beiden Kontrahentinnen.

Das ist rasant, wird garniert von Livekameras in den acht Garderoben, das Spiel ergeht sich in sturen Wiederholungen und Hysterien, als wolle man jedes echte Gefühl vermeiden. Wird es dann mal ruhig, etwa wenn die beiden Königinnen wie Puppen das Gefängnis ihrer Reifröcke vorführen - tolles Bild für den Käfig der Macht und des höfischen Rituals -, dann wird es auch richtig gut. Politische Macht wird im Getriebe der Aufführung zum hohlen Selbstzweck, nicht einmal die Hinrichtung klappt so richtig: Deren absurde Beschreibung borgt sich Claudia Bauer bei Stefan Zweig. Der Erhalt der Macht gerinnt zur aberwitzigen Erzählung.

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