Theater:Der Himmel hat geschlossen

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Frida Österberg und Jannek Petri, mit Marybelle. (Foto: Felix Grünschloß)

Gottsuche beim Country-Konzert: "Broken Circle" am Staatstheater Karlsruhe.

Von Jürgen Berger

Alabama und Monroe lieben das Leben, das Verliebtsein und den Sex. Sie ist eine Tattoo-Künstlerin, er spielt in einer Band. Dann aber erkrankt ihre kleine Tochter Maybelle: Leukämie. Die Eltern versuchen damit umzugehen, aber wem könnte so etwas schon gelingen. Alabama nimmt sich das Leben, Monroe trinkt noch mehr als zuvor. Glück und Leid, überschäumende Lebenslust und nihilistischer Lebensekel liegen eng beisammen in dieser Geschichte, die der belgische Theaterregisseur und Schauspieler Johan Heldenbergh zusammen mit der Schauspielerin und Autorin Mieke Dobbels 2008 schrieb und in Gent mehr als 150 Mal auf der Bühne spielte. In einer der Aufführungen saß der Filmregisseur Felix Van Groeningen und war so überwältigt, dass er aus dem Stück einen Film machte. 2013 gewann "The Broken Circle Breakdown" den Europäischen Filmpreis. Ein Jahr später wurde er als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert.

In Karlsruhe hat Anna Bergmann jetzt die deutsche Erstaufführung von "The Broken Circle" vorgestellt und macht mit ihrer Inszenierung dort weiter, wo sie letztes Jahr am Deutschen Theater in Berlin ein Ausrufezeichen setzte. Da war sie bereits Schauspieldirektorin in Karlsruhe, hatte in Berlin aber noch die Bühnenadaption von Ingmar Bergmans Filmklassiker "Persona" inszeniert. Die Koproduktion mit dem schwedischen Malmö Stadsteater ist zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen.

"The Broken Circle" nun ist eine Koproduktion des Staatstheaters Karlsruhe mit dem Stadsteater Uppsala, wo die finnische Opernsängerin und Schauspielerin Frida Österberg nach dem Abschluss ihrer Ausbildung gearbeitet hat. Österberg sitzt zu Beginn des Abends wie ein abgestürzter Rock-Engel auf einem Hocker. Die Katastrophe ist bereits geschehen. Dann steht sie auf und singt, als ginge es ums Überleben. Anna Bergmann hat das Prinzip der Vorlage übernommen und erzählt das Leben von Alabama und Monroe als Teil eines Country-Konzerts. Auf der Bühne findet sich lediglich das Konzertequipment. Bergmann setzt aber auch auf extravagante Theatermittel wie die Zeichentrickvideos von Gregor Dashuber, die wie eine Gothic Novel vom Leben der verstorbenen Maybelle erzählen. Und irgendwann kommt tatsächlich Maybelle auf die Bühne - als Puppe, geführt von Julia Giesbert, die diesem Wesen eine ganz eigene Kraft und Zerbrechlichkeit verleiht.

Anna Bergmann hat keine Angst vor Pathos, sorgt mit dem Einsatz ganz unterschiedlicher ästhetischer Mittel aber für Brechungen, die ein Abgleiten in den Kitsch verhindern. Das gilt auch für die expressive Frida Österberg, die im Zusammenspiel mit Jannek Petri aus dem Karlsruher Ensemble Facetten eines Paarlebens spielt, das ganz nach oben und von dort in den Abgrund führt. Dass beide hervorragende Sänger sind, versteht sich. Begleitet werden sie von Nathan Bontrager, Clemens, David und Florian Rynkowski. Sie sind die Bluegrass-Band des Abends und liefern den Soundtrack. Anna Bergmann situiert das Paar so, dass man bei Songs wie Ed Bruce' "Mamas Don't Let Your Babies Grow Up to Be Cowboys" spürt: Da herrscht Atemnot. Durchatmen können die nur beim Singen.

Anna Bergmann lotet gnadenlos die Euphorien und Abstürze der Paargeschichte aus, wartet aber auch mit verstörend surrealen Bildern auf. Etwa wenn Frida Österberg wie ein schwarzer Racheengel vom Schnürboden schwebt, dann aber zart und zerbrechlich singt. Österberg ist nicht nur als Sängerin ein Ereignis, sondern auch eine Alabama, die von Euphorie zu Depression taumelt. Bei Jannek Petri könnte man meinen, dieser Monroe würde durch die Provinz touren und den amerikanischen Traum leben nach dem Motto: Was brauche ich mehr als diese Lady, meine Gitarre und die Whiskyflasche? Plötzlich aber verändert der Mann sich schlagartig und ist ein nihilistischer Gottesleugner.

Schon im Theatertext ist Monroe ein Country-Hiob, der zugleich als lebensfroher Musiker und sarkastischer Atheist unterwegs sein kann. Ein Erbe der Generation Woodstock, der sich fragt: Wie können die USA "God's own country" sein, wenn Gott es zulässt, dass so einer wie George W. Bush ein Gesetz zur embryonalen Stammzellenforschung stoppt und damit verhindert, dass meiner Tochter vielleicht geholfen werden könnte? In der deutschen Erstaufführung wird diese Seite des Monroe, der in seiner Verzweiflung gegen die Verhältnisse wütet, stark akzentuiert. Bei Alabama dagegen ist der Furor selbstzerstörerisch. Lady Gagas "Joanne" erklingt, in dem es heißt: "Take my hand ... heaven's not ready for you." Alabama geht, obwohl der Himmel nicht nur an diesem Tag geschlossen hat.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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