Theater:Der fahle Maestro

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Gnadenloser Opportunist: Karl Böhm, gespielt von Nikolaus Habjan.

(Foto: Lupi Spuma)

Abrechnung in Graz: Der Regisseur Nikolaus Habjan demaskiert mit seinen Puppen den Dirigenten Karl Böhm.

Von Wolfgang Kralicek

Wenn Musik so harmlos wäre, wie viele glauben, wäre sie den Nationalsozialisten nicht so wichtig gewesen. Wie politisch also ist die Musik? Diese große, komplizierte Frage verpackt Paulus Hochgatterer in seinem für das Grazer Schauspielhaus verfassten Stück "Böhm" in eine hübsche Pointe. Am 30. März 1938, zwei Wochen nach Adolf Hitlers berüchtigter "Anschluss"-Rede auf dem Heldenplatz, steht im Wiener Konzerthaus das "erste festliche Konzert im neuen Deutschen Reich" auf dem Spielplan, und der junge Konzertmeister Wolfgang Schneiderhan möchte vom Dirigenten wissen, ob er den Mozart aus gegebenem Anlass anders spielen soll als bisher. "Ich hab gedacht, ich könnte ein bisschen stärker einsetzen, festlicher, ein bisschen deutscher." Doch Karl Böhm will davon nichts wissen: "In den Noten steht ein Piano, ich dirigiere ein Piano und Sie spielen ein Piano. Verstanden?"

Als Schneiderhan dann aber ankündigt, eine Kadenz von Fritz Kreisler spielen zu wollen, ist Böhm aus politischen Gründen dagegen: Kreisler hatte sich dem NS-Regime verweigert. Die Szene bringt auf den Punkt, wie Hochgatterer den Dirigentenstar porträtiert: als einen Künstler, der sich kompromisslos in den Dienst der "unpolitischen" Musik stellt, andererseits aber skrupellos an der eigenen Karriere arbeitet. Er war kein Parteimitglied, aber er stand, wie Furtwängler und Karajan, auf der Liste der "Gottbegnadeten", und er verhielt sich mehr als nur opportunistisch.

Die Idee, im "Anschluss"-Gedenkjahr dem berühmten Grazer Karl Böhm am Zeug zu flicken, hatte ein anderer überregional erfolgreicher Grazer Künstler: der Puppenspieler und Regisseur Nikolaus Habjan, der zuletzt auch bei den Münchner Opernfestspielen ("Oberon, König der Elfen") und im Cuvilliéstheater ("Der Streit") inszeniert hat. Bei "Böhm" zeichnet Habjan nicht nur für Regie und Puppendesign verantwortlich, er ist auch der einzige Darsteller. Habjan war es auch, der den niederösterreichischen Schriftsteller, Psychiater und Opernfan Paulus Hochgatterer damit beauftragte, die Spielvorlage zu schreiben.

"Sind Sie taub? Das würde manches erklären." So macht der Dirigent Sänger zur Schnecke

Dieser lieferte kein klassisches Bio-Drama, sondern bediente sich eines geschickten Kunstgriffs: Protagonist ist ein sehr alter Mann, der in seinem Wohnzimmer Böhm-Platten hört und dem Dirigenten zum Verwechseln ähnlich ist. Da das Stück in der Gegenwart spielt, kann es eigentlich nicht Böhm selbst sein, der da spricht - der wäre heute 127 Jahre alt, das ist sogar für Dirigenten unrealistisch. Ist der Greis ein Böhm-Fan, der eins mit seinem Idol geworden ist? Oder eine Art Alter Ego des Maestro? Der Effekt ist jedenfalls erstaunlich: Wir blicken sozusagen durch Böhms Augen auf Böhms Leben zurück.

Das Bühnenbild (Julius Theodor Semmelmann) ist ein Geviert aus braunen Kommoden. Sehr witzig sind die Szenen, in denen der autoritäre, pedantische Böhm auf der Probe den jungen Walter Berry schikaniert oder einen Musiker zur Schnecke macht ("Sind Sie taub? Das würde manches erklären"). Der begnadete Stimmenimitator und Komödiant Habjan ist hier ganz in seinem Element. Obwohl er sich selbst hauptsächlich als Regisseur versteht, zeigt sich Habjans Meisterschaft auch diesmal vor allem in seiner Performance. Die meisten der elf Figuren, mit denen er agiert, sind lebensgroße Klappmaulpuppen; für die Opernszenen - unter anderem mit Christa Ludwig und Elisabeth Schwarzkopf - hat Habjan auch kleinere Puppen gebaut. Von Böhm gibt es mehrere Puppenversionen, am gespenstischsten ist jene Szene, in der bloß der silbrig-fahle Schädel des Dirigenten zum Einsatz kommt, den Habjan sich vor den Kopf hält. Den stärksten Eindruck aber hinterlässt der alte Mann, der gebrechlich in seinem Rollstuhl kauert, durch dicke Brillen blickt und sich mit seinem rumänischen Pfleger - der gute Mann ist empörenderweise Celibidache-Fan! - und dessen kleiner Schwester unterhält.

Der Alte konfrontiert Böhm auch mit unangenehmen Fragen, etwa der nach der arisierten Villa, die dieser in Wien bewohnt hat. Oder ist es Böhm selbst, den da posthum das schlechte Gewissen plagt? Am Ende ragt eine Säule mit einer Böhm-Büste aus dem Bühnenboden. Sie senkt sich , bis die Büste auf Augenhöhe mit dem Alten ist. Der stürzt sie vom Sockel, und sie zerbirst in tausend Stücke. Das Schlussbild passt nicht ganz zu einer Aufführung, in der sonst so virtuos am Denkmal Karl Böhms gekratzt wird.

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